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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond
Autoren: Jewgeni Lukin
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Inspiration über ihn kam. »Denkt doch, wie viel Geld und Truppen ein anderer Regent aufgewendet hätte, um die Räuberei in der Wüste zu unterdrücken! Den Herrscher hingegen hat es einen Bogen Pergament und eine eigenhändige Unterschrift gekostet … ein einziger Namenszug – und da haben wir ihn, den lang ersehnten Frieden für den Palmenweg! Erstens, keine einzige Beschwerde. Zweitens, wer wird sich jetzt noch ausrauben lassen? Von nun an wird nicht mehr der Kaufmann den Räuber fürchten, sondern der Räuber den Kaufmann …«
    »Na, na, vorsichtig …«, brachte mit scheelem Blick der Eigner hervor, als er halbwegs die Sprache wiedergefunden hatte. »Du redest immerhin vom Herrscher …«
    Doch Ar-Scharlachi spürte auch selbst, dass es Zeit war, in den Schleier zu beißen. »Die Größe der Weisheit zu bestaunen ist die unmittelbare Pflicht des Untertanen«, bemerkte er knapp und verstummte.
    Man hörte, wie sich links jemand von den Mistkäfern das Lachen zu verbeißen suchte.
    »He, ihr da«, blaffte der Schiffsherr. »Auf der linken Seite! Ich werd gleich mitlachen!« Er wandte sich wieder Ar-Scharlachi zu. »Ich wollte dich die ganze Zeit fragen, Ehrwürdiger«, begann er nicht ohne Spott. »Wie kommt es denn, dass du selber den Holm schiebst? Der Sohn eines Gebieters, drei Falten … Wie das?«
    Ar-Scharlachi seufzte. »Von irgendwas muss man ja wohl leben?«, antwortete er widerwillig.
    »Der Herrscher hat euch doch eine Pension zugesprochen«, hakte der Eigner einschmeichelnd nach. »Die reicht wohl nicht, oder?«
    Jetzt lachten beide Schiffsseiten schallend. Die Läufer liebten derlei Vorstellungen. So verging die Zeit, und ehe man sich’s versah, war Rast.
    »Hat er.« Ar-Scharlachi grinste. »Aber der Beamte, der mir die Pension gebracht hat – was meinst du, Ehrenwertester? –, der braucht auch was zu beißen … Er hat mir geradezu gesagt: ›Halbe – halbe.‹ Aber ich habe mich auch angestellt: Statt zuzustimmen, habe ich ihm gedroht, dass ich ins Vorgebirge fahren und mich beschweren würde. Da ist er erschrocken, der Dummkopf, ich könnte es tatsächlich tun, und hat mich denunziert. Ich und der Räuber Scharlach seien ein und dieselbe Person. Die Namen sind ja ähnlich …«
    »Und haben sie’s geglaubt?« Der Eigner musterte neugierig den hochgeborenen Schiffsläufer.
    »Geglaubt haben sie’s wohl nicht, aber die Pension haben sie mir für alle Fälle gestrichen …«
    »Tja-a …«, sagte der Eigner gedehnt mit finsterer Miene. »Zeiten sind das …« Und er strich wie unwillkürlich über die breite Falte auf seiner knochigen rechten Schulter.
    Rechts am Horizont zitterte in der heißen Luft das schwarze, verkohlte Skelett einer Kriegsgaleere. Es sah aus, als krieche dort im unsteten rötlichen Lichtschein ein riesiges Insekt aus der Höhle. Ein Stück weiter ragte ein weiteres schwarzes Wrack auf …
    Kaum zu glauben: Es war erst fünf Jahre her, dass Oreya der Vierte und Letzte auf den Thron verzichtet hatte! Vor fünf Jahren war der große Staat zerschlagen worden, waren in der Wüste die runden, leicht einwärtsgebogenen Spiegel der Kampfschilde aufgeblitzt, die Segelschiffe auf Rädern in Flammen aufgegangen, und alle Oasen entlang der Vorberge von Harwa hatten sich abgespalten und dabei den Palmenweg mitgenommen, der so dumm gewesen war, in dem allgemeinen Taumel diese nacktfressigen Bastarde zu unterstützen …
    Ein Eckchen des mickrigen Schattens, den die Leinenplane warf, hatte endlich das Gesicht erreicht, doch das spielte keine Rolle mehr. Bald darauf kroch die Galeere quietschend in den richtigen, dichten Schatten des in Schichten verwitterten Restberges, hinter dem die Schotterwüste Papalan endete und die weißen, durchglühten Dünen der Tschubarra begannen. Da das Schiff einem Kaufmann gehörte, nicht dem Thron, gab es darin keine angeketteten Läufer – nur Dienstleute. Die Mistkäfer verteilten sich über die Umgebung. Jemand sammelte Trümmer eines Segelschiffs ein, das einst vom Staubsturm gegen diesen verwitterten Felsen geworfen worden war, ein anderer ging mit Ledereimern zu der in den Stein gehauenen Zisterne; man brachte ein Kohlenbecken aus der Galeere und machte Feuer. Nachdem sie schweigend und gemächlich gegessen hatten, legten sie sich in den Schatten, jeder auf seinem eigenen kleinen Teppich. Jemand entfernte sich in das Gewirr von Felsbrocken – wohl, um heimlich zu dem Kamel namens Ganeb zu beten. Die Übrigen gaben vor, die Abwesenheit der
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