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Unsterbliche Sehnsucht

Unsterbliche Sehnsucht

Titel: Unsterbliche Sehnsucht
Autoren: Anne Marsh
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sie aufgab. Nessa rang nach Luft, vermutete er zumindest, denn den meisten Menschen war es am wichtigsten, am Leben zu bleiben, und dazu musste man nun mal atmen.
    Mit ihren braunen Augen starrte sie zu ihm herauf. »Wenn Sie der Gute sind«, fragte sie, »wer spielt hier dann den Bösen?«
    Genetik war berechenbar. Der Kerl aber, der sie auf die nicht allzu sauberen Bodenfliesen ihres Hörsaals drückte, war absolut
un
berechenbar.
    Die Wissenschaftlerin in ihr ordnete ihn ein, machte seine Abstammung aus und spekulierte über mögliche Ahnen. Seine Haut war zu dunkel für einen Südländer und seine Wangenknochen passten nicht zu einer Herkunft aus dem Nahen Osten. Er mochte Israeli sein; dem Waffenarsenal nach zu urteilen, das er bei sich trug, gehörte er dem Mossad an. Die Frau in ihr indes war sich seiner Gegenwart unerwarteterweise nur allzu bewusst. Er hatte etwas Dunkles an sich, seine harten Gesichtszüge bildeten das Gegenstück zu einem noch gestählteren Körper. Das Haar trug er allerdings zu kurz geschnitten, um wirklich abschätzen zu können, wie es natürlich fiel. Aber mit diesen Wangenknochen hätte ihn jede New Yorker Modelagentur garantiert sofort unter Vertrag genommen, zumindest solange der Booker ihm nicht richtig in die Augen sähe, die irgendwie unmenschlich wirkten. Sie schienen vor Intensität regelrecht zu leuchten, und die Iris schimmerte tiefschwarz, was von den kleinen Narben ablenkte, die an den Seiten seiner Wangen verliefen, als hätte das Leben ihm ein für alle Welt sichtbares Warnsignal ins Gesicht tätowiert. Dieser Mann besaß eine dunkle Aura, etwas Wildes. Und verdammt, da lag doch ein gieriges Funkeln in seinen Augen.
    Er war mit Sicherheit kein Mensch und definitiv eine Nummer zu groß für sie, obwohl sie selbst ein zusätzliches Chromosom besaß.
    Noch einmal betrachtete sie ihn. Ja, dieser Teint und diese markanten Züge verrieten ihr alles, was sie wissen musste. Sie konnte ihm seinen Gencode förmlich vom Gesicht ablesen.
    »Dämon«, entschied sie. »Gefallener Engel.« Also war er garantiert nicht zur Universität gekommen, um sich ihre Einführung in die Genetik anzuhören oder mit ihr ihren neuesten Aufsatz über das vierte Buch Mose zu besprechen. Linien und Muster. Beziehungen. Alles stand sauber und ordentlich niedergeschrieben. Dabei war das Ganze im echten Leben wahrscheinlich ein höllisches Durcheinander und leicht inzestuös obendrein. Den meist abwesenden Gesichtsausdrücken ihrer Studenten nach zu urteilen, fanden nicht besonders viele Menschen diese Thematik spannend. So gar nicht, weshalb sie einmal mehr ein ziemlicher Freak zu sein schien. Aber das erklärte immer noch nicht, warum der Gefallene aufgetaucht war und sie so grob behandelte.
    Sie schloss die Finger um seine Handgelenke und zog daran. Er ließ sie gewähren – vermutlich, weil es ihn amüsierte, diesen Scheißkerl. Ihr Versuch, sich freizukämpfen, endete damit, dass sie nicht mehr schaffte, als die Ärmel seines ledernen Staubmantels hochzuschieben, wodurch dunkle, tintenähnliche Male sichtbar wurden, die wie Bänder um seine breiten Handgelenke verliefen. Wenn sich ein Dämon und ein Mensch miteinander verbündeten, wurde ihnen diese Vereinigung in Form solcher Wirbel, schwarzer Stigmen, die sich bis über die Unterarme zogen, buchstäblich auf die Haut geschrieben. Es hieß, je größer der Wunsch, den man äußerte, desto dicker und dunkler seien die entsprechenden Zeichen. Nessa glaubte nicht daran, dass die Male des Gefallenen eine Laune der Natur waren, was hieß, dass er ein Bündnis geschlossen hatte. Es musste Gründe gegeben haben, sich diese Kunstwerke zuzuziehen.
    Er bewegte sich auf ihr und Nessa sog begierig Luft ein, bevor sein Gewicht schließlich wieder vollends auf ihr ruhte. »Na, gefällt dir, was du siehst, Doc?«
    Das tat es, doch sie war nicht dumm. Das Ganze entwickelte sich zu einem richtig schlechten Tag. Er hatte sämtliche Teilnehmer ihres Seminars traumatisiert, hielt sie am Boden fest und den Geräuschen nach zu urteilen, die von draußen in den Hörsaal drangen, war er nicht allein. In der Entfernung krachten allerdings Schüsse. Es bestand also Hoffnung, dass der Sicherheitsdienst auf dem Campus sie möglicherweise doch noch retten kommen würde.
    Oh mein Gott … Vielleicht war sie an diesem Morgen ja gar nicht aufgewacht. Vielleicht gehörten sowohl die schreckliche Unterredung im Büro des Dekans als auch diese unvorstellbare Unterbrechung ihrer
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