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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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für Leidenschaft und Kampfeskraft an uns wandte, dröhnte in London laute Musik aus einem Ghettoblaster, und alle lachten, alle scherzten. Irgendwann machte einer die Musik aus, und das Spiel ging los.
    Ich dachte, ich wäre dank meines Bruders und Illmatic schon in die Abgründe der populären Musik eingeweiht. In Londoner Umkleidekabinen wurde ich jedoch noch einmal musikalisch weitergebildet. Da gab es UK Garage, offenbar nicht zu verwechseln mit den Musikrichtungen Speed Garage oder Two Step Garage. Ein paar Funkrhythmen wurden mit dem immer gleichen Beat vermischt und dazu gelegentlich ein einziges, sich permanent wiederholendes Wort in die Melodie geworfen. Immer noch erträglicher, als wenn einer der Torhüter an den Ghettoblaster gelassen wurde, tröstete ich mich. Torhüter haben – neben ihrem grundsätzlichen Spleen, Torwart zu sein – einen fatalen Hang zu True Power Death Black Heavy Metal oder wie immer dieser Krach heißt.
    In Deutschland hatten wir nur einmal Musik vor einem Spiel gehört. Wir waren mit der Jugendnationalelf auf der Anfahrt zu einem Testspiel gegen die Türkei, als plötzlich im Radio
Eye Of The Tiger
von Survivor lief. Der Busfahrer drehte lauter, vor uns im Tal konnten wir schon die leuchtenden Flutlichtmasten des Moselstadions von Trier sehen. Wir brüllten den Refrain mit, wir klatschten uns ab, wir klatschten gegen die Sitzlehnen und verloren das Spiel 1:4.
    Dieselbe Entspanntheit, mit der sie dem Spiel entgegengingen, legten die Arsenal-Jungs auch im Training an den Tag. Wenn der Trainer eine Übung für beendet erklärte, fingen sofort einige an, nach eigenem Gusto mit den Bällen herumzuspielen, andere schwätzten und scherzten, sodass der Trainer uns fünfmal zusammenrufen musste, bis er die nächste Übung durchführen konnte. Von solcher Leichtigkeit zu Flegelhaftigkeit war es nur ein kleiner Schritt.
    Alle paar Tage wurden wir für eine Standardpredigt zusammengerufen. Wieder war die Toilette überflutet worden oder jemand mit dreckigen Fußballschuhen durch den Kabinentrakt gelaufen.
    Wir waren erst 16 oder 17, Lehrlinge, aber jeder von uns hatte schon seit Jahren ständig gehört, was für ein toller Fußballer er war. War es zwangsläufig, dass sich mancher schon für den größten hielt? Permanent ließ man uns jede überflutete Toilette, jeden Unsinn durchgehen, weil wir doch so tolle Fußballer waren. Bei anderen englischen Vereinen mussten die Fußball-Azubis die Schuhe oder gar die Autos der Profis putzen. Das lief unter Erziehung. Wir konnten unsere dreckigen Trainingsklamotten einfach den Betreuern zurücklassen.
    Ein einziges Mal in meinen Jahren bei Arsenal wurde ein Jugendspieler tatsächlich rausgeworfen. Jay Bothroyd hatte sein Trikot unserem Trainer Don Howe verächtlich vor die Füße geworfen. Howe war eine Instanz im englischen Fußball, einst Nationalspieler und Assistenztrainer der englischen EM -Elf von 1996. Er hatte – welche Anmaßung in den Augen des Jungen! – nicht mehr getan, als Bothroyd auszuwechseln.
    Ein Jahrzehnt später wurde Jay Bothroyd, nun im Dienst von Cardiff City, englischer Nationalspieler. Das verdeutlicht das Dilemma, vor dem Klubs wie Arsenal in der Erziehung ihrer Azubis stehen: Sind sie konsequent und entlassen einen ungezogenen Jungen fristlos, verlieren sie einen potenziellen millionenschweren Nationalspieler.
     
    Die Tage bekamen einen Rhythmus. Morgens der Vortrag von Großmutter Mary über das Wetter («Liege ich richtig, wenn ich ein klein wenig Helligkeit in der Wolkenschicht entdecke?»), den 384er an der Straße angehalten, fliegende Erdnüsse in Arsenals Kleinbus, Training, zweimal die Woche Schule, abends Gespräche mit den Arsenal-Jungs bei den Flints über das Training und die Erdnüsse des Tages, samstags dann das Match, ich wurde permanent aufgestellt, also stellte ich mich wohl nicht zu ungeschickt an.
    Eines Tages sagte Steve dann zu mir, er brauche mich. Ein berühmter deutscher Fußballer komme zu Verhandlungen zu Arsenal, er könne mir den Namen nicht verraten, es sei alles höchst geheim, aber ich müsse übersetzen.
    Wer mochte es wohl sein, dachte ich aufgeregt: Mehmet Scholl oder Christian Ziege?
    Einige Tage später eilte ich wie verabredet mit Steve in ein italienisches Restaurant in Totteridge & Whetstone. Ich konnte wetten, dass es Scholl oder Ziege war! Ich schaute mich fieberhaft nach ihnen um – und übersah so für einen langen Moment Anneke. Sie saß mit unserem Schulfreund Farhad
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