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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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ich zunächst überwältigt von all den Eindrücken wie in Trance durch mein neues Leben gestapft war, wachte ich nach einigen Wochen in einer schmerzhaften Realität auf. Ich war kein Mitspieler für die Jungs bei Arsenal, sondern ein Konkurrent, ein Eindringling.
    Ich wusste, ich war der Neue, der Fremde, ich musste etwas tun, um mich in die Mannschaft zu integrieren. Doch von Natur aus schüchtern, nahm mir mein spärliches Englisch vollends den Mut. Ich versuchte, unsichtbar zu werden.
    Im Kleinbus, der Arsenals Jugendspieler jeden Morgen aufsammelte und zum Training brachte, flogen Erdnüsse. Eine traf mich am Hinterkopf. Ich schaute angestrengt weiter aus dem Fenster. Eine Nuss schlug gegen mein Ohr. «Schaut mal, He-Man bekommt rote Ohren!» Sie imitierten meinen Akzent, als ob ich wie ein Roboter sprach. «Hey, He-Man, ich wette, dein Großvater war bestimmt auch eine von Hitlers Killermaschinen.» Ich konzentrierte meinen Blick ganz fest auf die Leute unter den großen schwarzen Regenschirmen, die auf dem Bürgersteig vor meinem Busfenster vorbeiflogen, und wartete, dass es vorüberging.
    So lernte ich den Humor, diese essenzielle britische Errungenschaft, als Grausamkeit kennen.
    Aus heutiger Sicht kann ich verstehen, dass die Späße der Jungs auch eine Einladung waren. Sie gaben mir die Chance mitzumachen, dazuzugehören. Aber eingeschüchtert und verkrampft, wie ich war, empfand ich sie als Angriffe. Selbstironie wäre ein Schutzschild gewesen. Wer über seine Schwäche selbst lacht, nimmt den anderen die Chance, sich darüber lustig zu machen. Selbstironie ist ein sicheres Zeichen, dass du kein Außenseiter mehr bist, dass du dich eingelebt hast. Leider war es nicht so, dass ich eines Tages aufwachte und feststellte: Ah, der Humor ist zu mir gekommen.
    Stattdessen bekam ich Angst vor dem Mittagessen.
    Die verschiedenen Jugendmannschaften und das Reserveteam der Profis aßen nach dem morgendlichen Training gemeinsam in der weiträumigen, hellen Klubkantine. Die Wände waren aus Glas, die Möbel modern, mit jedem Detail sollte eine angenehme, beruhigende Atmosphäre geschaffen werden. Ich sah, zwischen meinen Mitspielern war noch Platz, und setzte mich trotzdem an den Rand. Was, wenn sich zwischen ihnen jemand einen Platz reserviert hatte, wenn ich mich dort hinzusetzen versuchte und sie mir sagten: Geh weg, da sitzt Stacky?
    Die Jungs lachten die ganze Zeit. Weil ich nicht verstand, worüber, dachte ich: Lachen sie über mich? Wenn ich auf Toilette musste, blieb ich trotzdem sitzen. Ich hatte Angst, wenn ich aufstünde, würden sie mir das Essen versalzen.
    Morgens im 384er von Barnet nach Cockfosters, wo mich der Arsenal-Kleinbus auflas, spürte ich zum ersten Mal im Leben, wie Angst ein körperliches Leiden sein kann. Meine Innereien schienen sich zu verknoten. Da war immer so ein Druck in der Magengegend.
    Mir geht’s prima, sagte ich meinen Eltern am Telefon, es ist wirklich schön hier, mit den Jungs bei Arsenal verstehe ich mich bestens.
    Im Training ging ich auf Ben Chorley los. Er hatte mich mit einem eiskalten Tritt von den Beinen geholt, und ich wollte nicht glauben, dass es ein unbeabsichtigtes Foul gewesen war. Ich kam nur dazu, Ben einmal wegzuschubsen, schon warfen sich Mitspieler und der Trainer zwischen uns; sehr zu meinem Glück, vermute ich. Ben Chorley war einer jener gefürchteten englischen Verteidiger, die mit ihrem Quadratschädel ohne eine Regung alles wegköpften, was sich ihnen in den Weg stellte, den Ball, Eisenkugeln und zur Not eben auch aufbrausende deutsche Mitspieler.
     
    Warum gehen wir heute Abend nicht mal was essen?, sagte Steve Rowley zu mir, nachdem er den Vorfall zu hören bekommen hatte.
    Am Abend rief er auf meinem Handy an. Er parke an der Ecke vor meinem Haus.
    «Ich gehe noch mal kurz spazieren», sagte ich zu Eileen.
    Als Chefscout war Steve Rowley eine übergeordnete Instanz. Er glaubte, es käme nicht gut an, wenn er mit einem Arsenal-Jugendspieler gesehen würde, sonst hieße es schnell, der He-Man ist der Liebling von Rowley, der He-Man wird hier bevorzugt. Nichts lieben Fußballmannschaften mehr als ein gutes, bösartiges Gerücht.
    Steve ließ sich von den Jugendspielern Musik aufnehmen. Er trug die Hemden weit geöffnet und fast immer schwarz. Schwarz macht schlank. Eines Tages, träumte er, würde er bei Armani einkaufen, dafür müsse er nur noch ein bisschen abnehmen, damit er wieder in die normalen Anzugsgrößen passe. Zwischen Hauptgang und
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