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Unser Mann in London

Unser Mann in London

Titel: Unser Mann in London
Autoren: Moritz Volz
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Klappräder aus der Abstellkammer. Zum Glück habe ich mich von Anneke überzeugen lassen, die Wohnung nicht zu verkaufen, als wir nach Hamburg gingen. Wir können doch auch ohne Wohnung immer wieder nach London zurückkehren, hatte ich argumentiert. Heute weiß ich, wie falsch ich lag: Es braucht die Wohnung, einen Grund, um immer wieder für ein paar freie Tage zurückzukommen.
    Ich muss fest treten. Die Reifen des Klapprads sind noch semiplatt. Vom Sattel aus sehe ich die Welt mit dem Londoner Blick, dem Blick eines imaginären Immobilienmaklers. Ein schöner Garten hier; hey, dieses Fabrikgebäude hätte Potenzial, daraus ließen sich wunderbare Lofts machen; an der Rückseite dieses Hauses könnte man einen prächtigen Wintergarten anfügen.
    Wir treffen uns mit Steve zum Abendessen. Er sagt, er wolle draußen sitzen, «al fresco» ist sein Ausdruck, es klingt so weltläufig. Kaum sitzen wir auf der Terrasse, sagt er, es sei zu heiß, gebe es keinen Schattenplatz?
    Die Transferzeit des Profifußballs rückt näher, Agenten rufen Steve minütlich an, um ihm ihre Spieler anzupreisen. Anneke versteckt ihm das Handy.
    «Warst du eigentlich bei unserer Hochzeit gerührt, Steve?», fragt Anneke, ich weiß gar nicht, wie wir auf das Thema kamen.
    «Nein!», schnappt Steve.
    «Und wärst du bei meiner Beerdigung getroffen?», fragt Anneke.
    «Beerdigung?! Wie kannst du in aller Öffentlichkeit über deine Beerdigung reden wollen? Das ist lächerlich, das ist peinlich, hör mit dem Thema auf!»
    Irgendwo, unter dem Sitzkissen oder in Annekes Schuh, klingelt Steves Handy.
    «Ich nehme an, dass ich bei deiner Beerdigung aufgelöst wäre», sagt Steve plötzlich ganz ruhig. «Aber ich würde es nicht zeigen.»
    Nach Hause nehmen wir den langen Weg. Wir radeln bei Gary vorbei. Sein Garten wuchert. Sträucher, Blumen, Gräser, alles wächst wie gedopt. Im Wohnzimmer des Pfarrers steht ein silberner Pokal. Er habe die Vereinsmeisterschaft seines Golfklubs gewonnen, sagt Gary.
    Mein Freund und Pfarrer Gary sowie Owen wollen beweisen, dass sie wirklich da sind: mit dem FC Fulham im Europa-League-Finale in Hamburg.
    Wow, herzlichen Glückwunsch!
    «Ja», sagt Gary und verzieht den Mund kein bisschen. «Der Wettkampf begann um acht Uhr morgens. Ich war der einzige Teilnehmer, der aufkreuzte.»
    Da weiß ich wieder ganz genau, was ich vermisse, wenn ich in Hamburg manchmal kurz an London denke und ein Drücken auf der Brust spüre.
     
    Es war Zufall, dass Arsène Wenger zu einer Zeit bei Arsenal Trainer wurde, als ich gerade ein Jugendlicher war, und es brauchte noch viele Zufälle mehr, damit er mich dann 1999 zu Arsenal lotste. Aber ich würde es nicht Zufall oder Schicksal nennen, ich würde sagen: Es war ein Geschenk, dass ich elf Jahre in London leben durfte.
    Noch einmal kommen so viele Erinnerungen in mir auf: Wie die englischen Fußballer vor einer Partie immer geräuschvoll Riechsalz in die Nase saugten, um sich aufzuputschen. Das Gebrüll der Fans an der Anfield Road in Liverpool, das mich wie ein Sturm umtoste, das gegen mich und mein Team gerichtet war und mich doch trug. Oder wie ich in meinem verfluchten Jahr ohne Klub mit den Fulham-Fans zum Europa-League-Finale nach Hamburg reiste. Nachts um zwei saßen wir zu Tausenden am Flughafen Fuhlsbüttel, getroffen von Fulhams Niederlage gegen Atlético Madrid, und warteten vergebens auf den Rückflug. Das Nachtflugverbot galt schon, aber die deutschen Flughafenbeamten hatten Angst, den Londoner Fans zu eröffnen, dass wir bis zum Morgen nicht mehr loskämen; Angst, dass die Fans dann randalieren würden. Also stieg ich auf ein Pult und verkündete über Mikrophon die schlechte Nachricht. Die Fans nahmen es stoisch, ohne ein Murren hin, wie es nur Engländer können.
    Patch und sein Cousin kamen ebenfalls zum Europa-League-Finale.
    Egal, was noch kommen wird, ich ahne, dass ich in Fulham die besten Jahre meiner Karriere erlebte. Aber ich denke an London weniger in der Vergangenheit als in der Zukunftsform.
    Hier möchte ich nach Ende meiner Fußball-Laufbahn leben.
     
    Die Sonne scheint schon den zweiten Frühlingstag in Folge, und ich muss wie all die nun krebsroten Londoner wieder raus. Während ich an den einfarbig braunen Reihenhäusern mit den bunten Türen vorbeigehe, wo ein Fuchs gestern Nacht den Müll zerwühlte, verspüre ich plötzlich eine tiefe Gewissheit.
    Ich ging weg, um wiederzukommen.

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Dank
    Danke Ronald, dass du meinen Erlebnissen
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