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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George
Autoren: Judith Summers
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die
sich als Metastasen überall in seinem Körper angesiedelt hatten, für kurze Zeit
aufzuhalten, wobei es Udi allerdings sehr schlecht ging.
    Unsichtbar, unbemerkt und dennoch so
tödlich wie die Sporen eines Giftpilzes warteten sie in seinem Körper auf die
nächste Gelegenheit, sich wieder auszubreiten. Und genau das taten sie in dem
Moment, als die dreimonatige Chemotherapie beendet war. Im Januar, als er mit
der ganzen Familie nach Österreich zum Skilaufen ging, schien Udi wieder ganz
der Alte zu sein. Ende März musste er sich einer Notoperation unterziehen, um
einen kleinen Darmverschluss zu beseitigen, und uns wurde gesagt, dass seine
Lebenserwartung höchstens noch sechs Monate betrug. Anfang Mai, nach einer
dritten Operation, war diese ohnehin sehr kurze Frist auf klägliche drei Wochen
geschrumpft.
    Ein Todesurteil mit einer Frist von
drei Wochen war nicht nur ein unbeschreiblicher Schock, es war auch einfach
nicht zu fassen, besonders da Udi anscheinend immer noch das alte Energiebündel
war. Mit Hilfe eines Morphiumtropfes, den er selbst regulieren konnte und um
den sich ein Team der Palliativstation kümmerte (von ihm liebevoll »die
Todesschwadron« genannt), konnte er sich weiterhin mit seinen Freunden im Café
treffen, bis er zu schwach dazu war. Danach hielt er auf dem Sofa im Wohnzimmer
Hof, und später im Hospiz, wo ein ständiger Strom von Familienangehörigen,
Freunden und Bekannten ihn besuchte, um sich zu verabschieden. Es kamen so
viele, selbst aus Amerika, dass ich, wie die Assistentin eines
vielbeschäftigten Ministers, einen Terminkalender führen musste, um die Besuchszeiten
im Griff zu behalten, damit sie uns nicht alle auf einmal überfielen.
    Ganz ehrlich, das Zubereiten von
dreißig Tassen Kaffee am Tag und das Austeilen von Trost und
Papiertaschentüchern an einen endlosen Besucherstrom, der weinend unser Haus
verließ, war für mich nicht die Art, wie ich mir gewünscht hätte, die letzten
Tage mit meinem Mann zu verbringen. Was alles noch schlimmer machte, war, dass
mein Vater, der in Frankreich lebte, genau zur selben Zeit ebenfalls an Krebs
starb und dass ich nicht hinfahren konnte, um ihn zu besuchen. Dennoch, es war
Udis Tod, nicht meiner. Und es war sein gutes Recht, ihn zu begehen, wie es ihm
richtig erschien, also biss ich die Zähne zusammen. Viele sahen diese dauernde
Geselligkeit und seine ungebrochene, stoische Haltung angesichts des
bevorstehenden Todes als heldenhaft an, fast schon eines Heiligen würdig. Ich
deutete es anders. Udi hatte eine grauenhafte Angst vor dem Tod und wollte
vermeiden, mit denen, die er am meisten liebte, allein zu sein: mit mir, die während
der letzten dreizehn Jahre seine Lebensgefährtin gewesen war; mit Tabby und Hannah,
seinen erwachsenen Töchtern, die er so liebte und die während der letzten Phase
seines Lebens bei uns wohnten, um bei seiner Pflege zu helfen; mit Nathaniel,
seinem entzückenden vierjährigen Enkel; und vor allem mit dem achtjährigen
Joshua, der jetzt bei seinem Vater auf dem Hospizbett saß und ihm die
Zehennägel in knalligem Rosa lackierte. Stolz zeigte Udi allen Besuchern seine
rosa Nägel, aber sein Lachen hatte eine bittere Note. Er liebte Joshua über
alles, und der Gedanke, dass er ihn nicht würde aufwachsen sehen, bereitete ihm
unerträgliche Schmerzen.
    Joshua wusste von Anfang an, dass es
ernst um seinen Vater stand. Die große Operation, die eine Narbe zurückgelassen
hatte, die an Dr. Frankensteins Ungeheuer erinnerte, konnte ihm kaum verborgen
bleiben. Genauso wenig wie die Monate der Chemotherapie, die Udi so schwächten
und ihn schlecht gelaunt und müde machten, zumal auch noch sein gesamtes Haar
ausgefallen war. Außerdem hielt Udi als Psychotherapeut nichts davon, dass man
etwas geheim hielt, selbst vor Kindern nicht. Es war immer besser, der Wahrheit
ins Gesicht zu sehen, selbst wenn sie schmerzhaft war.
    »Wird Dad wieder gesund?«, war eine
Frage, die Joshua mir anfangs oft stellte. »Das hoffe ich doch ganz bestimmt!«,
war meine Antwort, die immer leicht ungehalten klang. Und es war keine Lüge.
Denn trotz der verschwindend geringen Chancen glaubte ich immer noch daran,
dass Udi überleben würde. Er war doch stets ein Glückspilz gewesen, der sich so
oft nahe am Abgrund bewegte, sowohl in seinen persönlichen Beziehungen als auch
beruflich. Er flirtete mit der Gefahr und entwischte ihr immer in letzter
Minute.
    Aber diesmal nicht.
    Trotz meiner tapferen Bemühungen, unser
Familienleben an
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