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Unser Leben mit George

Unser Leben mit George

Titel: Unser Leben mit George
Autoren: Judith Summers
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auf seinen entzückenden weißen Kopf. »Mein lieber Junge«,
gurre ich, hundevernarrt wie ich nun einmal bin. »Du süßer Kerl! Ich hab dich
lieb, mein Georgie-Porgie!«
    Und während wir so auf der Bank sitzen,
Frauchen und Hund in glücklicher Eintracht, steigt langsam ein durchdringender,
scharfer Gestank nach etwas Verwestem aus seinem warmen Fell in meine Nase. Ich
sehe ihn an und merke, dass George sich nicht nur aus reiner Lebensfreude am
Boden gewälzt hat. Nein, er hat sich in etwas gewälzt — in etwas
Klebrigem, Braunem und Ekligem. Was es auch sein mag — und ich will nicht zu
lange darüber nachdenken — , es ist überall an seinem Rücken, an seiner
Schnauze, an den Hinterbeinen und an seinen Vorderpfoten. Und nicht nur er ist
damit beschmiert, sondern ich bin es auch.
    Ich schubse das dreckige, stinkende
kleine Monster von meinem Schoß und wische meine klebrigen Hände am Gras ab.
Ich knipse die Leine an sein schmutziges, klebriges Halsband und mache mich mit
ihm auf den Heimweg. George geht voran, den verklebten Schwanz hoch erhoben wie
eine Siegesfahne. Und schließlich hat er recht. Gegen alle Erwartung hat er den
Spieß umgedreht und die Schlacht gewonnen: Unser Morgenspaziergang, der
eigentlich mindestens vierzig Minuten dauern sollte, ist nach zehn Minuten
beendet.
    Sowie ich im Haus bin, reiße ich mir
die schmutzigen Kleider vom Leib und setze George in die Badewanne, aber vorher
schafft er es noch schnell, sich auf dem Teppich im Flur zu wälzen und das
Eklige, das an ihm klebt, auch noch darauf zu verteilen. Ich bade und shampooniere
ihn, dann trockne ich ihn mit dem Föhn. Ich schrubbe den Teppich im Flur, dann
scheuere ich die Badewanne. Ich schrubbe mich, ziehe saubere Sachen an und
werfe meine Jeans in die Waschmaschine, zusammen mit Georges schmutzigen
Handtüchern.
    Schließlich stopfe ich meinen
verschmutzten Mantel in eine Plastiktüte und bringe ihn nach Hampstead Village
zur Reinigung. Diesmal lasse ich George zu Hause. Wie ich den Gartenweg
entlanggehe, springt er auf die Sofalehne und sieht durchs Erkerfenster
anklagend hinter mir her, als wolle er fragen, warum ich ihn verlasse.
    Wieder daheim, finde ich George auf
meinem weißen Bettbezug, der in der letzten halben Stunde mit einem Muster aus
großen grauen Pfotenabdrücken verziert wurde. 101 Dalmatiner, das Bett
zum Film. Er schläft ganz fest und schnarcht, seine krause kleine Nase liegt
zwischen den Riesenpfoten. Eigentlich darf er ja nicht auf dem Bett liegen,
aber er sieht so friedlich aus, dass ich es nicht übers Herz bringe, ihn zu
stören. Anstatt endlich mit der Arbeit anzufangen, lege ich mich neben ihn.
    Es ist erst halb elf, aber ich bin
erschöpft. Ich bin seit vier Stunden auf, und auf die eine oder andere Weise
hat George sie alle für sich in Anspruch genommen.
    Warum in aller Welt habe ich mir nur
einen Hund angeschafft?



2.
Kapitel
     
    Es war 1998, die erste Woche im November.
Die Uhren waren gerade zurückgestellt worden, der offizielle Anfang des
Winters. Was noch vor einigen Tagen fünf Uhr Nachmittag war, war jetzt erst
vier Uhr, und als ich mit meinem neunjährigen Sohn Joshua aus der Schule nach
Hause ging, wurde es bereits dunkel.
    Wenn wir in den vergangenen Jahren an
Novembernachmittagen wie diesem nach Hause gekommen waren, war das Haus immer
hell erleuchtet gewesen. Und wenn wir durch die Tür traten, hörten wir
gewöhnlich lauten Jazz oder Flamencomusik vom CD-Spieler, in die sich meist ein
Sprecher des vierten Programms mischte, dazu erklang oft noch die Tonspur eines
Videos vom Fernseher her. Über diese Kakophonie erhob sich gewöhnlich eine
lebhafte und manchmal auch wütende Männerstimme. Udi Eichler, mein Lebensgefährte
und Joshuas Vater, saß an seinem Stammplatz am Ende des Küchentischs und
telefonierte.
    Unweigerlich umgab ihn dabei ein
Durcheinander aus Zeitungen, politischen und literarischen Zeitschriften,
Journalen über Rennboote, halb gelesenen Booker-Preis-Anwärtern, Tassen,
halbvoll mit kalt gewordenem schwarzem Kaffee, unbeantworteten Briefen,
bekritzelten Notizblöcken, Kugelschreibern ohne Kappe und offenen blauen
Plastiktaschen mit Gauloises-Tabak. Ach ja, und seinem geliebten Psion
Organiser, einem Gerät, von dem er sich freiwillig nie trennte. Oft jonglierte
er mit zwei Anrufen gleichzeitig — einem im Festnetz, den anderen auf seinem
Handy, das er zwischen Schulter und Ohr geklemmt hatte.
    Zwischen den Fingern seiner rechten
Hand hielt er stets eine dünne,
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