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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar
Autoren: Anja Berger
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nur unser Kleines bekommt ein eigenes Spielzimmer, sondern auch du.“ 
    Emma fragte sich, wie oft sie das heute noch denken würde, aber sie tat es schon wieder. Volltreffer! Diese Frau war eindeutig sensationell. 
    „Und diese Küche erst! So viel Platz! Das Kirschholz ist so wunderschön und diese schwarze Schieferarbeitsplatte erst! Stell dir vor, wie du dort drin deine Kreationen zubereiten könntest!“ 
    Moment. Diese imposante Erscheinung von Mann kochte? Emma hatte Mühe, sich das vorzustellen. 
    „Du hast ja recht. Wenn die liebe Frau Maklerin vielleicht noch ein bisschen am Preis schrauben würde?“ Erwartungsvoll drehte er sich zu Emma um, die unauffällig in den Hintergrund gerückt war. 
    „Selbstverständlich. Wir können uns die Möglichkeiten gerne im Detail betrachten. Wie wäre es mit einem Kaffee in der Küche? Dort hätten wir genügend Platz, die Einzelheiten in Augenschein zu nehmen.“ 
    „Sie haben Kaffee hier?“ 
    „Sicher. Das gehört bei mir zum Service. Es ist doch wesentlich angenehmer, geschäftliche Dinge in angenehmer Atmosphäre zu klären.“ 
    Zwei Stunden, drei Kaffees, vier Packungen Schokolade und genauso viele kleine Flaschen Wasser später öffnete Emma die Haustür und entliess zwei lächelnde Gesichter aus deren neuem Heim. Als Emma die Tür hinter sich wieder schloss, massierte sie sich als erstes ihr eigenes Lächeln aus dem Gesicht. Dann tat sie, was sie in ihren Verkaufsobjekten nie tat. Sie schüttelte die hohen Schuhe von den Füssen. Es war zwar erst vier Uhr nachmittags und im Büro wartete noch einiges an Arbeit, aber für heute war Schluss. Sie würde nichts mehr tun, ausser diesen Verkauf zu zelebrieren. Endlich, endlich hatte sie es geschafft. Und das Beste war, dass diese beiden Menschen genau die richtigen für diese vier Wände waren. Bevor Emma alles zusammenräumte, streifte sie ihre Strumpfsöckchen ab, trat barfuss auf die hintere Veranda und von dort weiter in das saftige, weiche Gras. Sie atmete tief ein und genoss dieses herrlich kühle Gefühl unter den Fusssohlen. 
    Als sie schliesslich ihre Strumpfsocken und Schuhe wieder montiert und die Arbeitsmappe unter den Arm geklemmt hatte, verliess sie das Haus ebenfalls durch die Vordertür. 
    Und da war er wieder. Dieser Mann mit den weissen Haaren, dem leicht eingefallenen, faltigen Gesicht und den wachen blauen Augen. 
    Wie immer hatte er seinen Gehstock dabei und wirkte leicht verwirrt. Emma hatte ihn schon mehrfach gesehen und ab und zu beschlich sie das seltsame Gefühl, von ihm beobachtet zu werden. Angesprochen hatte er sie aber noch nie. Und sie ihn auch nicht. Heute war sie voraussichtlich aber das letzte Mal hier… 
    „Entschuldigen Sie bitte!“ 
    Der Mann reagierte nicht. 
    „Hallo?“ 
    Jetzt sah er auf. 
    „Entschuldigung, wohnen Sie hier in der Nähe?“ 
    Keine Antwort. Einfach nur ein fragender Blick aus gutmütigen Augen. 
    „Tut mir leid, dass ich Sie einfach so überfalle…“ 
    Der Mann wich erschrocken zurück. 
    „Oh, nein! Das habe ich nicht im wörtlichen Sinn gemeint. Ich habe gerade dieses Haus hier verkauft. Deshalb war ich auch lange Zeit ziemlich oft in der Gegend. Da habe ich Sie so manches Mal gesehen. Also fragte ich mich, ob Sie vielleicht hier in der Nähe wohnen? Sie müssen wissen, es ziehen wunderbare Menschen hier ein. Ein Ehepaar, und sie ist schwanger. Könnte also gut sein, dass es in Zukunft etwas lauter wird, als Sie es sich vielleicht gewohnt sind.“ Emma versuchte es mit einem aufmunternden Lächeln. Nichts. Dann eben nicht. Emma wandte sich ab und wollte auf die andere Strassenseite gehen, wo sie ihren roten Mini Cooper geparkt hatte. 
    „Kinder tun dieser Gegend gut. Es belebt sie.“ 
    Emma blieb stehen und drehte sich wieder zu dem alten Mann um. 
    „Über die ganzen Jahre hinweg gab es hier viel zu wenig Nachwuchs.“ 
    „Dann wohnen Sie schon seit geraumer Zeit hier?“ 
    „Wohnte. Inzwischen musste dieses lauschige Plätzchen einer Wohnung weichen. Dumm nur, dass ich immer wieder Schwierigkeiten habe, mich zu erinnern, wo diese Wohnung liegt, wenn ich mich zu weit davon weg wage.“ 
    Eine Welle des Mitgefühls überkam Emma. Gab es etwas beängstigenderes, als mutterseelenallein an einem Ort zu sein und keine Ahnung zu haben, wie man von dort zurück in die eigenen vier Wände findet? 
    „Haben Sie denn wenigstens einen Anhaltspunkt? Ich meine, ich habe Sie hier schon öfter gesehen, als ich jemandem das
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