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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar
Autoren: Anja Berger
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Haus zeigte. Wie kamen Sie denn da jeweils wieder nach Hause?“ 
    „Meine Liebe, ich habe von Erinnerungsschwierigkeiten gesprochen, nicht von Erinnerungsverlust! Die Richtung aus der ich komme, weiss ich. Und bin ich erstmal unterwegs, kommt mir die Strecke auch bekannt vor. Also gehe ich einfach den bekannten Anhaltspunkten nach und wundere mich dann immer wieder, wie weit ich gelaufen bin.“ 
    „So? Nun, aus welcher Richtung kamen Sie denn?“ 
    „Von da hinten!“ Der Mann hob nur die Hand über seine Schulter und wies mit dem Daumen auf die Umgebung hinter sich. 
    Emmas Blick folgte der angezeigten Richtung. Sie legte fragend den Kopf schief. „Sie kamen also durch den Wald, durchquerten den Bach und spazierten weiter über die mit Stromdraht eingezäunte Kuhweide?“ Skeptisch musterte Emma den hageren, gebrechlich wirkenden Menschen, den sie vor sich hatte. „Sagen wir, Sie hätten das tatsächlich alles gemeistert, aber wie sieht es mit der anschliessenden, abgesperrten Baustelle aus, deren Betretung nebenbei noch verboten ist?“ 
    Der Mann schien sich Emmas Argumente durch den Kopf gehen zu lassen und wagte schliesslich ebenfalls einen Blick. Er musste feststellen, dass dies nicht ganz dem Weg entsprach, den er genommen hatte. 
    Jetzt musste Emma lächeln. „Kommen Sie. Wir setzen uns in mein Auto und fahren Sie nach Hause. Okay? Haben Sie ein Handy?“ 
    Ohne ein weiteres Wort kramte der Mann sein etwas in die Jahre gekommenes Mobiltelefon aus seiner kleinen Ledertasche, die er um sein Handgelenk trug. Er reichte es Emma und trottete ihr bis zum Auto hinterher. 
    Als sie die Fernbedienung für die Zentralverriegelung bediente, fand der Alte seine Sprache wieder. „Was, wenn Sie mich um mein Geld betrügen wollen oder eine Massenmörderin sind? Solche Sachen passieren älteren Menschen, die vertrauensvoll genug sind, täglich!“ 
    Emma, die sich gerade zum Adressbuch im Telefon des Mannes durchklickte, hielt inne und sah überrascht auf. „Stimmt. Wissen Sie was? Ich gebe Ihnen Ihr Telefon zurück. Wer weiss, welche Daten Sie dort drin aufheben. Dann rufen Sie jemanden an, der Sie abholen kann.“ 
    Die wachen blauen Augen fixierten Emmas. Was sie darin las, verstand sie nicht. War es Schalk? Belustigung? Zufriedenheit? Auf seltsame Weise eine Art Stolz? Alles auf einmal? Plötzlich wurde sie das Gefühl nicht mehr los, soeben einen Test bestanden zu haben. Und zwar nicht nur einen einfachen Vertrauenstest zwischen zwei Fremden. 
    Nachdem sie sich dann endlich im Auto eingerichtet hatten, beobachtete Emma, wie der alte Mann einige Sekunden auf die Ziffer zwei auf seinem Mobiltelefon drückte, das Handy an sein Ohr nahm und gleich darauf Luft holte, um zum Sprechen anzusetzen. Aber dazu kam er nicht. Noch bevor er eine Begrüssung aussprechen konnte, donnerte ein sprachlicher Wasserfall aus dem Telefon. Sogar Emma verstand deutlich, was am anderen Ende der Leitung gesagt wurde. 
    Es schien eine Frau zu sein, die er angerufen hatte. Eine ziemlich energische und vor allem aufgebrachte Frau. Das wunderte Emma nicht weiter, ging sie doch davon aus, dass es sich um eine nahestehende Person handelte, die sich sorgte. Der Vorteil dieses unüberhörbaren Wortergusses war, dass die Dame, die ihren Herrn sehr gut zu kennen schien, ungefragt den Weg zu seiner Wohnung erklärte. Emma startete den Motor und fuhr los. Es war, als hätte sie ein lebendes Navigationsgerät, das sie führte. 
    Nachdem die Stimme ihre Wegbeschreibung beendet hatte, bediente der Mann den roten Knopf des Telefons und im Auto wurde es bis auf ein leises Summen des Motors mit einem Mal still. Zielsicher lenkte Emma den roten Mini um die nächste Kurve. 
    „Emma.“ 
    Das Gesicht des Mannes war ein einziges Fragezeichen. 
    „Mein Name ist Emma. Ich glaube nicht, dass wir uns bisher vorgestellt haben.“ Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie ihren Beifahrer mit einem kurzen Blick bedachte. 
    Das Fragezeichen verschwand und wurde zu einem verlegenen Schmunzeln. „Wie unhöflich. Eigentlich sollte ich doch der mit der grösseren Erfahrung über Gepflogenheiten sein. Ich bin Martin.“ 
    „Freut mich, dich kennen zu lernen, Martin.“ Emma stockte. „Mist, jetzt ging ich aber nicht regelkonform vor. Das Du sollte doch eigentlich der Ältere anbieten.“ 
    „Meine Mutter würde sich wohl im Grabe umdrehen, aber das wäre nicht das erste Mal und wird nicht das letzte Mal sein. Also sehen wir
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