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Unscheinbar

Unscheinbar

Titel: Unscheinbar
Autoren: Anja Berger
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sich doch immerhin um die Privaträume eines fast Fremden. Also verfolgte sie das Thema Rosaria weiter. 
    „Ist sie deine Frau?“ 
    „Wer? Rosaria? Himmel, nein!“ Martin schnaubte belustigt. „Meine grosse Liebe ist mir schon ins Jenseits vorausgegangen. Ingrid, du erinnerst dich? Daher habe ich auch das Haus auf dem Hügel verkauft. Es war einfach zu gross. Der Umbau dieses Stadthauses war eigentlich eine zukunftsorientierte Beschäftigungstherapie.“ 
    Martin schob die Tür vor sich auf und gab den Blick auf einen gemütlich wirkenden Raum frei. In der Mitte stand eine moderne Sitzgruppe, die einen geschmackvollen Kontrast zum alten Kamin an der Wand, dem leicht unebenen Parkettboden und den feinen Seidentapeten ergab. Während Martin sich etwas angestrengt in den Sessel neben dem Sofa sinken liess, forderte er Emma mit einem Kopfnicken auf, sich auf dem Sofa niederzulassen, bevor er seine Erzählung fortsetzte. 
    „Auch wenn man es ihr nicht geben würde, Rosaria ist die gute Seele dieses Hauses. In der Ukraine hat sie als Krankenschwester gearbeitet, bis sie in die Schweiz kam. Hier hat sie zwar nicht als Pflegefachkraft arbeiten dürfen, aber sie kam als Reinigungskraft in einem Krankenhaus unter und liess sich nebenbei noch zur Pflegerin ausbilden. So haben wir uns auch kennengelernt. Nach meinem Aufenthalt im Krankenhaus habe ich sie kurzerhand angefragt, ob sie nicht für mich persönlich arbeiten wolle und jetzt schmeisst sie meinen ganzen Haushalt und hat nebenbei immer ein wachsames Auge auf mich.“ 
    „Rosaria mag dich sehr gerne.“ Woher dieses warme Gefühl der freundschaftlichen Zuneigung kam, das sie nach so kurzer Zeit der Bekanntschaft bereits empfand, wusste Emma nicht. Aber sie wusste, dass es sie erleichterte, Martin in guten Händen zu wissen. 
    „Sie hat eine raue Art das auszudrücken, aber ja, ich denke, wir verstehen uns ganz gut.“ 
    Einen Vorstoss wollte Emma dann aber doch noch wagen. „Martin“, sie wartete, bis er sie ansah, „Rosaria scheint in gewisser Weise deine Familie zu sein. Was ist mit deiner echten Familie?“ 
    Zwar lächelte sein Mund weiter, aber seine Augen sagten etwas anderes. Emma fürchtete zu weit gegangen zu sein. Doch gerade, als sie zu einer Entschuldigung ansetzen wollte, begann Martin zu sprechen. 
    „Das ist kompliziert. Für diese Geschichte braucht es Zeit, von der ich nicht weiss, ob du sie aufbringen willst. Interessiert es dich wirklich, erzähle ich sie dir. Entstand die Frage aus höflichem Interesse in der Hoffnung auf eine oberflächliche Antwort, spar ich mir meinen Atem und unser beider Zeit lieber.“ 
    Den wahren Grund für ihre Frage hatte Emma nicht überdacht, sie war ihr einfach spontan in den Sinn gekommen. Aber falls sie eine kurze Antwort erwartet hatte, so wollte sie jetzt auf jeden Fall die lange hören. Sie sah Martin mit ernstem Blick in die Augen. „Ich bin ganz Ohr.“ 
    Martin nickte. Dann rückte er sich in eine bequeme Position und lehnte sich zurück. Bevor er zu erzählen begann tauchte wie auf ein Stichwort aus dem Nichts Rosaria auf und stellte frischen Kräutertee und süsses Gebäck, Martins Essen und seine Medikamente auf dem tiefen Salontisch ab. Wortlos verschwand sie wieder. Erstaunt sah Emma ihr nach. 
    Gehörte das zum Standart? Hatte sie gelauscht? Woher wusste sie, dass jetzt der exakt richtige Zeitpunkt für diese Handlung war? 
    Martin beobachtete, wie Emma mit gerunzelter Stirn Rosaria nachblickte. Um ihre Aufmerksamkeit zurückzuerobern räusperte er sich leicht. Sofort wandte sie den Blick von der Tür ab, durch die Rosaria verschwunden war. 
    „Meine Familie führte eigentlich ein gutes Leben. Wir hatten genug Geld auf der hohen Kante. Man könnte sogar sagen, wir waren ziemlich reich. Aber es war ehrlich verdientes Geld. Mein Vater hatte hart dafür gearbeitet und einen guten Riecher bewiesen, den Gregor, mein jüngster Bruder, geerbt hatte. Entsprechend stieg jener bald in die Geschäfte mit ein. Ich arbeitete auch im Familienbetrieb, die Führung des Hofes lag mir aber nicht. Also übernahm ich Aufgaben in allen anderen Bereichen. Nebenbei sorgten Streitereien mit meinen beiden Brüdern und den Nachbarjungs für spannende Tage. Meine Welt war in Ordnung. Bis ins Jahr 1976. Es war der einundzwanzigste Geburtstag meines Bruders Antonius.“ 
     

Strang 2 / Kapitel 1
     
    „Sandrine, kommst du mal bitte und hilfst mir in der Küche?“ Die fröhlich lachende, junge Frau mit den
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