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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren
Autoren: Arne Dahl
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Es hatte schon lange nicht mehr wie ein Engelsflügel geglänzt.
    Der Traum war vorüber, die Mittsommernacht stand noch bevor.
    In der die Farnblume erblühen würde.
    Im Regen.

40
     
    Der Mann sitzt mit dem Rücken gegen eine von Feuchtigkeit triefende Steinwand und drückt die Pistole fest an die Brust. Er hört sie. Er hört die Schritte. Überall.
    Überall.
    Er denkt: Aufdringliche verdammte Politruks. Er denkt: Menschen sind Idioten. Er denkt: Es wird schön sein, dieses Jammertal und alle ekligen Schweine darin zu verlassen. Schwule und Neger übernehmen das Kommando. Macht einen Zigeuner zum Ministerpräsidenten, und wartet ab, was passiert. Lasst die Arschficker jeden Park erobern und sich vor unseren Kindern einen runterholen. Alles ist krank.
    Da kommt die Stimme durchs Megaphon: »Bengt Eriksson. This is your last chance. Come out with your hands over your head.«
    Er steht auf. Den Rücken noch an der Steinwand. Die Pistole entsichert. Er blinzelt. Der Regen rinnt über sein Gesicht.
    Er denkt: Was ist aus unserer Widerstandskraft geworden? Unserer Entschlossenheit? Unserer Härte? Unserer Kraft? Unserem Stahl?
    Ich bin der Letzte, der noch übrig ist, denkt er und lugt vorsichtig um die Ecke. Die Polizeiwagen. Die Reihe von Scharfschützen.
    Ja, denkt er. Es ist vermutlich logisch.
    Er denkt: Ich bin der Letzte von den Harten.
    Dann läuft er los.
    Schießend.

41
     
    Es ist ein großer Flugplatz, so groß, dass kein Mensch zu sehen ist. Obwohl sie überall sind. Hier verschwinden unentwegt Menschen. Aus den Lautsprechern wird unentwegt gerufen, dass jemand jemanden sucht.
    So ist es wohl.
    Trotz allem.
    Er hat ein Bier vor sich und sieht zum Ausgang der Passagiere.
    Zum ersten Mal seit einem Monat ist er ein wenig unsicher. Er fragt sich, ob seine Mitteilung angekommen ist.
    Die Anzeige blinkt ›landed‹.
    Ja, denkt er und lächelt. Das kann man wohl sagen.
    Dann kommen sie. Der kleine Pulk von Schweden. Dass man sie immer erkennt.
    Sie sieht anders aus. Er erkennt sie sofort.
    Und sie, sie erkennt ihn.
    Eine kurze Umarmung.
    Sie sucht einen Strauß getrockneter Blumen hervor und hält sie hoch. Sieben Stück. In der Mitte eine Akelei.
    »Mittsommernacht«, sagt sie.
    Er sagt: »Wir müssen einen Namen für dich finden.«
    Und sie sagt: »Ich heiße Lera.«
    »Okay«, lacht er. »Dann einen Nachnamen.«
    Und er denkt: ›Mich schickt man mit Besen vor / den Staub zu fegen hinters Tor.‹
    »Es gibt immer einen besseren Ort als das Gefängnis«, sagt er.
    Dann fahren sie weiter.

42
     
    Dort unten liegt Schweden. Tief unten. Der junge Mann sieht die lang gezogene Küste gut zehn Kilometer unter sich.
    Es ist ein wolkenloser Sommertag. Ganz Schweden ist klar erkennbar, ganz Skandinavien. Er kehrt nach Hause zurück. Aber zu Hause ist jetzt etwas anderes.
    Er hat Bauchschmerzen.
    Der junge Mann versucht zu verstehen. Er versucht, all das Neue zu verstehen. Alles, was geschehen ist. Er liest in einem dicken Stoß Papiere und versucht zu verstehen, was die Mittsommerwoche bedeutet hat.
    Alles, was sie mit sich gebracht hat.
    Alles, was sie verwandelt hat.
    Alles, was sie zurechtgerückt hat.
    Das Leben kann immer noch überraschen, denkt der junge Mann überrascht. Ich bin als ein Mensch abgereist und komme als ein anderer zurück. Und zu Hause ist auch etwas anderes.
    Er wendet sich wieder den Papieren zu.
    Und weiß, dass nichts jemals zu Ende ist.
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