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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren
Autoren: Arne Dahl
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Entfernung.
    »Hast du je die Marsalis-Brüder und Kenny Kirkland ins Majls bekommen?«
    »Na klar«, sagte Chavez und fingerte weiter an Stickanpickans Trommelstockfutteral. »Und Sting und Charlie Parker und Louis Armstrong und Beethoven. Die ganze Bande.«
    »Einer der Zeugen behauptet das«, sagte Paul Hjelm.
    Chavez öffnete das Futteral und blickte hinein. Da stand ›Stig Nilsson‹.
    »Wer denn?«, fragte er.
    »Stig Nilsson«, sagte Paul Hjelm.
    Ein Augenblick absoluten, totalen Schweigens in dem schallisolierten Übungslokal. Alles mögliche Unsichtbare flog in der Luft vorüber.
    »Hast du doch aufgelegt?«, sagte Paul Hjelm im Telefon.
    »Stig Nilsson«, sagte Chavez. »Stickanpickan …?«
    »Was?«
    Jorge schloss die Augen und dachte nach. »Hast du eine Adresse von diesem Stig Nilsson?«
    Er hörte Hjelm in seinen Papieren blättern. »Jaha«, sagte dieser schließlich. »Birkagatan.«
    »Scheiße«, sagte Chavez. »Das ist er. Er wohnt in der Nachbarschaft. Stickanpickan ist unser Schlagzeuger. Aber er ist nie in Sundsvall gewesen. Ich kannte ihn nicht, bevor ich bei der Band eingestiegen bin.«
    Jetzt war das Schweigen auf Hjelms Seite. Schließlich sagte er: »Dagegen wusste er, dass du ab und zu im Übungslokal an einem Joint ziehst.«
    »Verdammt«, sagte Chavez. »Ich liebe den Mann. Der zweite Verrat an einem Tag. Die Rhythmusgruppe mit dem besten Groove der Welt.«
    »Komm her«, sagte Hjelm. »Wir können weitergehen. Wir ziehen einen Strich unter diese Geschichte und reden miteinander.«
    Chavez lachte. Bitter.
    Dann sagte er: »Ja.«
     
    Sie saßen in Paul Hjelms Büro. Jorge Chavez las die Abschrift von Stig Nilssons Zeugenaussage. Es hörte sich wirklich an, als wäre Stickanpickan im Majls in Sundsvall gewesen. Er hatte seinen Text ordentlich gelernt.
    »Dann hätte ich also mit Wynton Marsalis und Kenny Kirkland gespielt?«, sagte Jorge und zeigte auf die Abschrift. »In your dreams.«
    »Ich hätte früher darauf kommen müssen«, sagte Hjelm.
    »Er lässt locker die Namen Suppan und Gurgel fallen. Und dann impft er dir die Idee ein, dass wir nicht schlecht drauflos geraucht haben. Wenn auch vorsichtig. Aber genug, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Genug, um dich zu veranlassen, heimlich eine Urinprobe zu nehmen.«
    Hjelm schluckte es widerstandslos. Ihm genügte es, dass Jorge wieder da war.
    »Der geschickte Fehler ist beeindruckend. Bernt Eriksson statt Bengt Eriksson. Und dann fragst du, ob ich Heroin geraucht habe. Charmant.«
    Auch das ließ Hjelm durchgehen, ohne aufzubegehren.
    Chavez fuhr fort: »Dann bestreitet er, dass das Majls der Umschlagplatz für Rauchheroin in Norrland war. Was er nur wenige Tage zuvor im Gespräch mit dem Chef der Internabteilung behauptet hat. Und ich hatte geglaubt, wir wären Kumpel.«
    »Wer ist der Mann. Stickanpickan?«
    »Ein prima Typ von knapp vierzig«, sagte Chavez. »Hat in den achtziger Jahren in einer richtig guten Reggaeband gespielt. Jetzt unterrichtet er Philosophie an der Uni. Er hat an einer Abhandlung über Moralphilosophie geschrieben, aber irgendwann hat er aufgegeben. Er hat gesagt, es gebe Dinge, über die man nicht schreiben kann. Man könne sie nur zeigen.«
    »Das klingt, als wären wir auf den Richtigen gestoßen. Fahren wir hin?«
    Jorge warf plötzlich die Hände in die Luft und rief aus:
    »Verdammt, wie konnte ich ihn auf Hultins Fest nur nicht erkennen?«
    »Es war vermutlich eine ordentliche Maskierung«, sagte Hjelm. »Und dann die ganze Zeit die Kamera vorm Gesicht und die Blitze in unseren Augen. Es ist nicht so wichtig. Wichtig ist jetzt: Fahren wir zu ihm?«
    »Er will ja gefunden werden«, sagte Chavez. »Deshalb hat er sich in die Liste der Zeugen eingereiht. Und als Spur zu sich selbst wählt er Wynton Marsalis und Kenny Kirkland. Weil sie viel mit Sting zusammengespielt haben. Der in The Police gespielt hat. Er hat fünf Menschen umgebracht. Es ist der helle Wahnsinn.«
    »Oder fünf Personen gerettet«, sagte Hjelm. »Es kommt auf die Perspektive an. Nehmen wir den Mann mit, der so gekonnt Türen in Kleinholz verwandelt? Er sitzt nur da und liest. Er ist mit Shakespeare eingeschneit.«
    »Eher eingeregnet«, sagte Chavez.
    Chavez blickte die Birkagata entlang. Durch die Regenschleier erkannte er ein Stück weiter weg seinen eigenen Hauseingang. So nah und doch so fern. Er fragte sich, ob Sara zu Hause war, ob sie dabei war, sich für das Mittsommerfest bei Dozent Ragnar Lööf schön zu machen. Vielleicht
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