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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren
Autoren: Arne Dahl
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duschte sie. Und Isabel war beim Babysitter. Dies war vielleicht der richtige Augenblick für den Absprung. Die A-Gruppe zu vergessen, sich frei zu nehmen, Mittsommer zu feiern.
    Mit einem Fruchtbarkeitsfest in der Dusche anzufangen.
    Doch dann dachte er: Stickanpickan. Und danach: Wie ist das passiert, verdammt. Was habe ich hier verloren? Ich bin doch im Vaterschaftsjahr.
    Und sie gingen hinein.
    Gunnar Nyberg wusste, dass er als Muskelmasse mitgenommen worden war. Als Muskelmasse mit dem Kopf voll Shakespeare.
    ›Die Zauberkräfte seines Saftes taugen, / Von allem Wahn sie wieder zu befreien / Und den gewohnten Blick ihm zu verleihen. / Wenn sie erwachen, ist, was sie betrogen, / Wie Träum und eitle Nachtgebild entflogen; / Dann kehren wieder nach Athen zurück / Die Liebenden, vereint zu stetem Glück.‹
    Bestimmt, dachte Gunnar Nyberg und trat die Tür ein.
    ›Eile, Puck, die Nacht mach schwarz wie Pech.‹
    Sie gingen mit gezogenen Waffen hinein.
    Eine Stummheit schlug ihnen entgegen. Es war schwer, sie zu beschreiben. Ein Mangel an Eindruck. Ein Mangel an Ausdruck. Nur eine zielbewusste Konzentration, die an der absoluten Kahlheit der Wände hängen geblieben war und es ihnen schwer machte zu atmen.
    Sie sicherten einen Raum nach dem anderen. Es dauerte nicht lange. Es war eine Zweizimmerwohnung.
    Nur die Toilette stand noch aus. Wenn er in der Wohnung war, war er dort. Versteckt, verbarrikadiert? Bereit, sich freizuschießen?
    Kaum.
    Nyberg trat die Toilettentür ein. Leer und schwarz. Und, als sie den Lichtschalter betätigten, ein mattes rotes Licht.
    Unter der Decke eine Wäscheleine.
    An der Wäscheleine Fotografien. Unmengen von Fotografien an Wäscheklammern.
    Hjelm nahm eine ab. Ein Vogel. Eine Silbermöwe über dem Vordergrund. Im Hintergrund, ganz deutlich, drei Gestalten, zwei sitzende, eine stehende. Eine Veranda am See Ravalen. Sitzend Stina und Jan-Olov Hultin. Stehend Paul Hjelm. Der gerade Kaffee auf ein Fax gekleckert hatte.
    »Die Silbermöwe«, flüsterte er.
    Und es waren Bilder der A-Gruppe, Unmengen von Bildern, aus allen Ecken des Falls.
    »Was ist das hier?«, sagte Nyberg und hielt ein Bild in der Hand, auf dem er neben einem großen Mann mit perforiertem Gesicht auf einem Krankenhausbalkon saß. »Warum hat er uns überwacht?«
    »Damit wir die Fotos finden«, sagte Hjelm. »Damit wir sie genau jetzt finden.«
    »Warum?«
    »Weil er jetzt den nächsten Schritt getan hat.«

37
     
    Arto Söderstedt saß mit einem Namen da. Es war ein eigentümlicher Name, ein Name, den er in der ganzen weiten Welt nicht finden konnte. Und der deshalb wahrscheinlich gar kein Name war.
    Nicht Keyser Söze.
    Sondern Vebach Zelsai.
    Er drehte ihn zwischen den Fingern. Er dehnte ihn und wendete ihn hin und her. Er pfriemelte die Buchstaben heraus und schüttelte sie.
    Es war wie ein Kinderspiel.
     
    Lena Lindberg hielt es nicht aus. Sie schlich sich leise aus dem Schlafzimmer und setzte sich im Arbeitszimmer, das einmal die Garderobenkammer ihrer kleinen Wohnung gewesen war, an den Schreibtisch. Sie griff zur Maus und erweckte den Bildschirm zum Leben. Sie loggte sich ins Intranet der Polizei ein und arbeitete sich durch mehrere Schichten mit Codes und Passwörtern hindurch. Jedes Mal musste ihr Computer eine Weile nachdenken. Das tat sie auch. Stoßweise.
    Sie konnte nicht den Finger darauflegen, aber irgendetwas ließ ihr keine Ruhe, sie musste sich unbedingt die Verhöre mit Naska Rezazi ansehen, die sie verpasst hatte. Sie wusste nicht, ob es etwas war, was Sara gesagt hatte, oder ob es nur das nagende Gefühl war, das der wunderliche Abschluss ihres letzten Verhörs hinterlassen hatte. Es hatte falsch geendet. Alles hatte falsch geendet.
    Sie war bei den Vernehmungsprotokollen. Sie blätterte die anklickbaren datierten Zeilen durch. Da. Sara allein mit Naska. Während sie selbst sich mit den trostlosen Überwachungskameras beschäftigt hatte.
    Sie klickte die Zeile an und bekam das Vernehmungsprotokoll. Sie ging es durch, Zeile für Zeile.
    Und da war es. Die Ahnung. Der Verdacht.
    Warum sollte alles stimmen?
    Warum musste jeder paranoide Verdacht sich als wohlbegründet erweisen?
    ›Heute bin ich Russin.‹
     
    Kerstin Holms Blick wanderte zwischen dem übervollen Flipchart und dem Spinnennetz an der Decke hin und her. Was war glaubwürdiger? Das rational gesponnene Netz oder die Willkür der Natur?
    Durch den Fensterspalt, aus dem Mittsommer, kam ein Apollofalter hereingeflattert. Er flog in
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