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Ungeschoren

Ungeschoren

Titel: Ungeschoren
Autoren: Arne Dahl
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gegangen war. Das mörderische kleine I. Und niemand würde es je erfahren. Wenn er Stickanpickan richtig einschätzte.
    Sara machte sich nicht allzu viel aus dem Ganzen. Für sie war es wichtig, dass Isabel da war. Er hatte die Geschichte geschönt, so gut es ging.
    Und sie würden nie miteinander darüber reden können.
    Stig wusste, was er tat.
    Sein Handy klingelte. Er ging aus dem Schlafzimmer und nahm das Gespräch an. Auch wenn es wohl kaum Stig war. Inzwischen war er weit weg.
    Wenn er ihn richtig kannte.
    Er ging hinaus in den Flur. »Jorge.«
    »Paul hier.«
    »Ja.«
    »Wie geht es?«
    »Ich habe ein bisschen mehr Verständnis für dich und dein verschlossenes Gehirn bekommen.«
    »Ich bin in einem Hotel in Lidingö«, sagte Paul Hjelm.
    Mit sechs Gifttoten, dachte Jorge Chavez.
    Aber er sagte: »Ja?«
    »Unser Freund rief mich vor einer halben Stunde an und sagte, ich solle hierherfahren. Dann sollte ich dich anrufen und dir etwas ausrichten. Ich habe gehorcht und gehorche jetzt.«
    »Ja?«
    »Ich landete mitten in einer geheimen Besprechung zwischen Rechtsanwalt Rosenskiöld und fünf Menschen, von denen mir schließlich klar wurde, dass es sich um eure fünf Unschuldigen handelte. Der Anwalt hat mich abgekanzelt und mir mit Repressalien gedroht.«
    Jorge ließ das Handy sinken. Alle Gefühle auf einmal. Ein Sturm, in dem die Winde sich neutralisierten. Die absolute Ruhe im Auge des Zyklons.
    »Und alle sind wohlauf?«, sagte er mit vollkommen ruhiger Stimme.
    »Warum nicht?«, sagte Paul Hjelm.
    »Ja«, sagte Jorge. »Warum nicht? Und was solltest du mir ausrichten?«
    »›Wenn wir Schatten euch missfielen, / denkt zum Trost von diesen Spielen, / dass euch hier nur Schlaf umfing, / als das alles vor sich ging. / Dies Gebild aus Schaum und Flaum / wiegt nicht schwerer als ein Traum.‹«
    »Lass mich raten«, sagte Chavez. » Ein Sommernachtstraum? «
    »Puck, der am Schluss zum Publikum spricht. Ich habe es nachgeschlagen.«
    »Schönes Mittsommerfest dann, Paul. Was hast du vor?«
    »Erotischen Abend mit Christina. Und ihr?«
    »Wir bleiben zu Hause«, sagte Jorge Chavez.
    Und ging zurück zu seiner Familie.
     
    Paul Hjelm schaltete das Handy aus und startete seinen standesgemäßen metallicgrünen Volvo S-60, verließ Lidingö und fuhr heim nach Messer-Söder. Er löste den Knoten, riss sich den Schlips vom Hals und warf ihn aus dem Fenster. Eines war vollkommen klar. Hätte er sofort mit Jorge gesprochen, wäre Isabel nicht gekidnappt worden. So hatte Stig Nilsson es angelegt. Die ganze Zeit. Es hatte ständig Auswege gegeben, doch sie hatten sie nicht genutzt.
    Sie hatten nicht miteinander gesprochen.
    Und er verstand ihn. Er verstand, dass das, was Stig Nilsson sagen wollte, in Worten nicht ausgedrückt werden konnte. Und er fragte sich, ob er nicht die ganze Zeit mit ihm, Paul Hjelm, gesprochen hatte.
    Er hatte etwas gesagt am Handy. Nachdem er den abschließenden Gruß an Jorge ausgerichtet hatte.
    »Ich weiß nicht, ob es etwas ändert. Was glaubst du, Paul?«
    Als würden sie sich kennen.
    Und Hjelm hatte nicht antworten können. Kein Wort.
    Vielleicht etwas anderes.
    Und in dem Augenblick hatte Stig gesagt: »Der grenzenlose Schmerz darin, alles zu sehen.«
    Und hatte aufgelegt.
    Paul fuhr durch den Mittsommerabend nach Hause. Es war kein Verkehr. Als wäre er allein im Universum.
    Doch er wusste, dass es nicht so war. Jemand wartete auf ihn.
    Wartete jemand auf Stig?
     
    Kerstin Holm stand, den Arm um ihren Sohn gelegt, unter einem Schirm im Vitabergspark und hörte Carl-Anton singen. Und alles war gut. Obwohl das Bild des hinausgeworfenen Viktor die ganze Zeit vor ihrem inneren Auge spukte.
    Sie verstand, dass sie nie alle Einzelheiten erfahren würden. Wie Stig Nilsson Elzbieta Kopanska gefunden hatte. Ob Ronald Swärd eine Pistole im Handschuhfach gehabt hatte. Wie Stig zu Dumitru Odagiu hineingelangt war. Wo er das Knochenstück aus Juha-Pekka Niemeläs Kopf gesägt hatte.
    Doch das spielte keine Rolle.
    Jan-Olov Hultin war in ihr Zimmer gekommen, gerade als sie gehen wollte. Er inspizierte eingehend ihre enorme Zeichnung auf dem Flipchart und nickte zufrieden. Dann zeigte er an die Decke und fragte: »Was ist das da?«
    »Ein Spinnennetz«, antwortete sie.
    Er bedachte sie mit einem skeptischen Blick.
    »Es ist ein bisschen beschädigt«, fuhr sie ein wenig angestrengt fort. »Ich musste einen Schmetterling befreien.«
    »Nimm es da weg«, sagte Hultin und ging.
    Und sie nahm es weg.
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