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Albtraum

Albtraum

Titel: Albtraum
Autoren: E Spindler
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PROLOG
    Das mondäne Washingtoner Viertel schlief. Nicht ein einziges Licht brannte in der Reihe teurer Stadthäuser. Lediglich die Straßenlaternen und der Dreiviertelmond sorgten für Beleuchtung. Die Novembernacht war eisig, die Luft feucht und voller Modergeruch.
    Der Winter war da.
    John Powers stieg die Stufen zur Haustür seiner Exgeliebten hinauf. Er bewegte sich zielstrebig, aber leise, wie jemand, der sicher war, nicht bemerkt zu werden. Vollkommen schwarz gekleidet, war er mehr Schatten als Mensch, ein Geist in der Dunkelheit.
    Oben angekommen, ertastete er den Ersatzschlüssel im Versteck unter dem Blumentopf, rechts neben der Tür. Den Sommer über war der Topf mit bunten, süß duftenden Blumen gefüllt gewesen, die nun verwelkt und von Kälte geschwärzt herabhingen. Der Weg allen Lebens, das erblühte und wieder verging.
    John steckte den Schlüssel ins Schloss und drehte. Der Riegel glitt zurück, und John trat ein. Viel zu einfach. Wenn man bedachte, welche Riege von Männern über die Jahre mit demselben Schlüssel aus demselben Versteck hier hereingekommen war, hätte Sylvia vorsichtiger sein müssen.
    Vorsicht war allerdings nie Sylvia Starrs Stärke gewesen.
    John schloss leise die Tür, verharrte und lauschte, um abzuschätzen, wie viele Menschen im Haus waren, ob und wo sie schliefen. Aus dem Wohnzimmer zur Rechten erklang das stete leise Ticken der antiken Kaminuhr, aus dem Schlafzimmer dahinter das tiefe Schnarchen eines vermutlich älteren Mannes, der zu viel getrunken hatte und wahrscheinlichzu sehr aus der Form war, um den Abend mit der temperamentvollen, manchmal anstrengenden Sylvia durchzuhalten.
    Schade für ihn. Er hätte nach Hause gehen sollen zu seiner fetten, verlässlichen Ehefrau und ihren undankbaren, kuhgesichtigen Kindern. Er würde gleich zum Opfer werden, weil er sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhielt.
    John ging aufs Schlafzimmer zu und zog die Waffe aus dem rückwärtigen Bund seiner schwarzen Jeans. Die Pistole, eine 22er Halbautomatik, war klein, leicht und auf kurze Distanz sehr effektiv. John hatte sie, wie alle seine Waffen, gebraucht gekauft. Heute Nacht würde sie ihr feuchtes Grab im Potomac bekommen.
    Er betrat Sylvias Schlafzimmer. Das Paar schlief Seite an Seite. Das Bett war zerwühlt. Sie hatten sich Laken und Decken um Hüften und Beine geschlungen, die Körper nur halb bedeckt. Im silbrigen Mondlicht schimmerte Sylvias linke Brust milchig weiß.
    John ging zu dem Mann und setzte ihm die Waffenmündung in Herzhöhe auf die Brust. Das Aufsetzen diente zwei Zwecken. Es dämpfte das Schussgeräusch und sorgte gleichzeitig für einen raschen und sicheren Tod. Profis gingen keine Risiken ein.
    John drückte den Abzug. Die Augen des Mannes sprangen auf, sein Körper zuckte. Ein Japsen, ein Gurgeln, als sich Flüssigkeit und Sauerstoff vermischten.
    Sylvia richtete sich hellwach auf. Das Laken rutschte von ihrem Körper herunter.
    „Hallo, Sylvia“, grüßte John und hatte den Mann bereits vergessen.
    Entsetzt wimmernd wich sie zurück und presste den Rücken gegen das Kopfteil des Bettes. Sie atmete heftig, und ihrBlick flog wild zwischen John und dem blutigen Mann neben ihr hin und her.
    „Du weißt sicher, warum ich hier bin“, sagte John leise. „Wo ist sie, Syl?“
    Sylvia bewegte die Lippen, doch kein Laut kam heraus. Sie stand offenbar kurz vor einem hysterischen Zusammenbruch. Seufzend kam John auf ihre Seite des Bettes und blieb neben ihr stehen. „Komm schon, Liebes, reiß dich zusammen. Sieh mich an, nicht ihn.“ Er nahm ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich her. „Komm schon, Süße, du weißt, dass ich dir nicht wehtun könnte. Wo ist Julianna?“
    Als er ihre neunzehnjährige Tochter erwähnte, wich sie noch mehr zurück. Sie warf einen Blick auf ihren stummen Bettgefährten, ehe sie John wieder ansah, sichtlich um Fassung ringend. „Ich … weiß alles.“
    „Das ist gut.“ Er setzte sich neben sie. „Dann verstehst du auch, wie wichtig es ist, dass ich sie finde.“
    Sylvia begann so heftig zu zittern, dass das Bett vibrierte. „Wie alt war sie, als du anfingst, zu ihr zu schleichen?“
    Er zog die Brauen hoch, erstaunt und zugleich amüsiert über ihren Vorwurf. „Haben wir jetzt plötzlich mütterliche Gefühle? Weißt du denn nicht mehr, wie sehr du es gefördert hast, dass ich mich mit ihr befasse? Wie recht es dir war, wenn dein Geliebter den Daddy spielte, damit du frei für andere Dinge warst?“
    „Du Schwein!“
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