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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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Hand. Ihr Kopf wurde nach oben gezerrt. Das schrille Wimmern verwandelte sich in ein Röcheln. Er zog, bis der Widerstand stärker wurde und sich ihr Rücken nach oben durchbog. Dann machte er zur Sicherheit noch eine weitere Umdrehung um seine Rechte und wartete geduldig. Die Leuchtziffern seiner Armbanduhr wechselten gemächlich von Sekunde zu Sekunde. Es schien ewig zu dauern, aber in Wirklichkeit waren es nur knapp drei Minuten, in denen das Röcheln immer
leiser wurde und schließlich ganz verstummte. Sie zuckte noch ein paar Mal unkontrolliert, kurz darauf erlahmte auch der letzte Widerstand ihrer Muskeln, und Brustkorb und Kopf sanken auf den Boden.
    Der Mann bedauerte, seiner Beute in diesem Augenblick nicht in die Augen sehen zu können, und merkte sich vor, den Modus Operandi zu überdenken.
    Zur Sicherheit wartete er noch eine geschlagene Minute – Wir wollen doch nicht, dass sie mitten während der Sektion wieder aufwacht, oder? – und kniete sich dann hin. Das Seil hatte sich so fest in das nachgiebige Fleisch ihres Halses gegraben, dass es fast darin versank. Er gab den Versuch auf, den Strick zu lösen, schob beide Arme unter den Körper und drehte die Frau mit einem Ruck auf den Rücken.
    Ihr Gesicht sah geschwollen und dunkel aus, die Zunge quoll dick zwischen den halbgeöffneten Lippen hervor, und die Augen waren unnatürlich verdreht, sodass fast nur noch Weiß – in seiner Wahrnehmung Neongrün – zu sehen war.
    Schade. Ihr Gesicht und den Ausdruck ihrer Augen zu studieren, während Gevatter Tod die Sense über ihr schwang, wäre eine außerordentliche Erfahrung gewesen.
    Der Mann lud den Rucksack ab und nahm das Damasttischtuch, ein Erbstück seiner verstorbenen Großmutter, heraus. Durch das Nachtsichtgerät leuchtete es auf dem dunklen Waldboden in hellem Farngrün. Die Instrumente, die der Mann auf dem Stoff ausbreitete, glänzten graugrün. Mit geöffnetem Schlund warteten die großen Schraubgläser darauf, gefüllt zu werden.
    Im Innern des Latexanzugs war es inzwischen heiß geworden, Schweiß perlte am Rücken des Mannes hinab, aber es störte ihn nicht.
    Noch einmal stellte er die Okulare nach. Ab jetzt war die
Beute nur noch ein lebloses Objekt klinischer Studien. Der Fichtennadelduft wurde stärker. Chirurgenhände streichelten über glatte Metallgriffe.
     
    Wie ein silbriges Fischlein wirkte das Skalpell in seiner Rechten. Blitzend durchschnitt es die weiche Luft und senkte sich auf den bleichen Leib nieder.

2
    Lara stöhnte.
    Dann rollte ihr Kopf von rechts nach links. Sie spannte die Oberarmmuskeln, presste die Handflächen links und rechts neben dem Rumpf auf den Boden und richtete dann den Oberkörper auf.
    Um sie herum war finstere Nacht. In ihrem Kopf hämmerte und pochte es. Sie konnte spüren, wie ihre Augen sich in dem Bestreben, etwas wahrzunehmen, schnell von links nach rechts bewegten.
    Beim Anziehen der Knie diagnostizierte sie mit klinischer Gewissheit, dass auch die Beine schwer und müde waren. Schattenhaft schälten sich Umrisse aus der Dunkelheit. Sie senkte das Kinn. Es fühlte sich so an, als träten ihre Augäpfel bei der Anstrengung, die Schwärze zu durchdringen, hervor.
    Der Blick strich über die Brüste nach unten. Keine Kleidung, keine Strümpfe, keine Schuhe.
    Sie war nackt.
    Lara hörte einen kleinen spitzen Schrei und stellte mit hellsichtiger Klarheit fest, dass dieser aus ihrem Mund gekommen war.

    Feines Rauschen durchwebte die laue Luft und brachte einen Geruch nach Moder, Pfifferlingen und Tannen mit sich. In der Ferne klagte ein Vogel. Dann war es wieder still.
    Sie drehte den Hals von links nach rechts. In ihrem Kopf hallte das Knacken der Nackenwirbel wider.
    Das Ganze schien ein Albtraum zu sein. Jedenfalls betete Lara, dass es einer war. Sie drückte die Ellenbogen durch und schob sich nach oben. Ihre Oberschenkelmuskeln brannten. Das Hämmern im Kopf wurde stärker. Der Schädel schien sich auszudehnen und wieder zusammenzufallen. Vor den Augen flimmerten grauschwarze Schattenrisse von Säulen und knochenfingerähnlichen Gebilden.
    Während sie auf wackligen Beinen mit gebeugtem Rücken dastand, fügte ihr Gehirn Geruch, Vogelrufe und Umrisse zusammen. Sie war im Blair Witch Project gefangen. Und es war furchtbar real.
    Wieder schrie der Nachtvogel. Dann raschelte es dicht neben ihren Füßen. Lara hatte das Gefühl, dass sich all ihre Muskeln gleichzeitig verkrampften, während die Bronchien sich schmerzhaft verengten und das Herz wie
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