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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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ausreichend Gelegenheit, Abstand zwischen sich und die Tat zu bringen und ihre Kleidung, die Handtasche, das Tischtuch und einige der Werkzeuge in aller Ruhe zu entsorgen.

    Er konnte manches neu kaufen. Das war besser, als mögliche Spurenträger für eine Wiederverwendung aufzubewahren. Nur das Skalpell, sein rasiermesserscharfes Silberfischlein, würde – gründlich gesäubert und poliert – wieder zum Einsatz kommen. Demnächst. Der Mann lächelte verträumt.
     
    Nach ein paar Sekunden der Andacht wandte er sich ab, hob den Rucksack vorsichtig vom Ast, schob die Arme durch die Träger und sah sich um. Waren sie von rechts oder von links gekommen? Von da vorn oder von hinten?
    Mit Tippelschritten drehte sich der Mann im Kreis. In seinem Jagdfieber hatte er vorhin wohl ein wenig die Orientierung verloren. Noch so eine unvorhersehbare Sache. Dass man sich beim Hetzen des Wildes durch das Dickicht verlaufen könnte, war ihm gar nicht in den Sinn gekommen. Seine Fantasien endeten damit, dass er die kostbaren Gläser im Kofferraum verstaute und beschwingt nach Hause fuhr, um den Inhalt zu bearbeiten, und nicht damit, dass er ziellos durch einen nachtschwarzen Wald irrte.
    »Nun, auch dafür werden wir eine Lösung finden.« Dumpf hallten die Worte durch den Wald. Er hatte immer und für alles eine Lösung.

3
    Lara ließ den Blick durch den Gerichtssaal bis hin zur Anklagebank schweifen, betrachtete die Mutter des toten Jungen und hörte dabei mit halbem Ohr zu, wie der Richter den nächsten Zeugen aufrief.
    Die Frau war klein und wirkte unscheinbar. Ihr langes
Haar hing herunter wie toter Seetang. Im aggressiven Neonlicht hatte es auch die Farbe toten Seetangs. Alles an der Frau wirkte wie tot. Die Schultern hochgezogen, sodass der Kopf fast dazwischen verschwand, saß sie auf ihrem Platz und starrte geradeaus. Von der Seite konnte Lara ihren Mund erspähen, der so stark zusammengekniffen war, dass von den Lippen nichts zu sehen war. Vielleicht hatte die Frau auch nur Angst, es könne etwas Unbedachtes herauskommen. Auch der Zeuge, der ein paar Mal in ihre Richtung zeigte, brachte sie nicht dazu, den Kopf zu bewegen.
    Lara kritzelte ein paar Details auf ihren Block und schielte auf die Uhr. Man wusste nie, wie lange so eine Verhandlung dauern würde. Erschienen geladene Zeugen nicht, war es eher zu Ende, als man geplant hatte. Manche Richter tagten bis in den Abend hinein, um fertig zu werden. Andere neigten zu größeren Pausen oder Vertagungen. Und dann hatte sie ein Problem, den Artikel rechtzeitig fertig zu kriegen.
    Leiser Kopfschmerz begann, an die Innenseiten ihrer Schläfen zu klopfen. Die Luft hier drin war trocken, und es schickte sich nicht, zur Wasserflasche zu greifen. Darum bemüht, keinen Lärm zu machen, fingerte Lara in ihrer Handtasche nach den Kautabletten.
     
    Einige Stunden später bohrte sich die Sonne fröhlich in ihr pochendes Hirn. Die Kopfschmerzen waren noch immer da. Wassermangel und zu viel Gerede. Lara eilte die Stufen vom Gerichtsgebäude hinab und sog dabei Sauerstoff in ihre Lungen. Noch ein Aspirin wollte sie nicht nehmen. Am Fußgängerüberweg machte sie kurz halt, um ihr Handy wieder einzuschalten. Immer wenn sie im Gericht war, brummte ihr hinterher der Schädel. Vielleicht hing es mit den verhandelten Fällen zusammen. Vielleicht auch mit der ganzen Atmosphäre.
Gegessen hatte sie auch nicht viel. Womöglich war ihr Körper unterzuckert, und das verursachte die Kopfschmerzen. Auf dem Weg in die Redaktion würde sie an einem Bäckerladen haltmachen und sich irgendetwas mit viel Kohlenhydraten kaufen.
    Rot leuchtend breitete das Ampelmännchen seine Arme aus. Lara zwinkerte dem kleinen blonden Jungen mit der Prinz-Eisenherz-Frisur zu, der sich neben ihr an der Hand seiner Mutter festhielt. Er sah aus wie der kleine Lord.
    Der kleine Lord grinste zurück. Sie tauschte noch ein schnelles Lächeln mit der Mutter des Kleinen, dann schaltete die Ampel auf Grün, und sie ließ die beiden hinter sich.
     
    »Hallo Lara!« Tom beobachtete seine Kollegin dabei, wie sie mit den Ärmeln ihrer Jacke kämpfte, und grinste. »Gut siehst du wieder aus!«
    »Du bist ein Schleimer.« Lara schenkte ihm ein halbherziges Lächeln, faltete die Jacke und hängte sie dann über die Rückenlehne des Drehstuhls. Sie war heute nicht in Bestform. Und so toll, wie ihr Kollege behauptete, sah sie mit Sicherheit nicht aus. Die Albträume der vergangenen Tage hatten Spuren hinterlassen. Außerdem war sie
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