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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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paar endlose Sekunden mit gebeugtem Rücken stehen. Die hellen Haare der Frau wirkten im Mondlicht fast weiß. Der Mann richtete sich auf und spähte in das undurchdringliche Dunkel des Waldes. Der schmale Pfad befand sich rechts von ihm.

    Jetzt kam der beschwerliche Teil. Aber ohne vorhergehende Anstrengung war es nur halb so schön. Er wollte nicht, dass ihm der Erfolg einfach so in den Schoß fiel. Es fühlte sich besser an, wenn man vorher dafür geschuftet hatte. Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Wieder grinste der Mann hinter der Gesichtsmaske.
    Die Klappe des Rucksacks fiel nach hinten, und seine rechte Hand schlüpfte hinein und fühlte nach der Tasche mit dem Nachtsichtgerät. Er zog die Hartplastikhülle mit leichtem Rucken hervor, achtete dabei darauf, dass die anderen Utensilien nicht herausfielen, klappte den Deckel der Box auf und entnahm das zweigeteilte Rund mit den gepolsterten Gurten. Es war ein russisches Modell. Die Russen waren Meister im Herstellen von kriegswichtigen Gütern.
     
    Wieder wehte intensiver Nadelduft heran und kroch unter seine Gesichtsmaske. Er verscheuchte die lärmenden Gedanken an seine Mutter so schnell, wie sie gekommen waren, schob die Gurte über den Kopf, rückte das Gerät zurecht und klickte die Verschlüsse ineinander.
    Sechshundert Euro. Es gab billigere Modelle. Aber bei diesem hatte man die Hände frei. Die Szene aus dem Film Das Schweigen der Lämmer , in welcher der Verrückte seinem hilflosen Opfer durch den finsteren Keller hinterhergegeistert war, hatte ihn auf die Idee gebracht. Das war besser als alle Taschenlampen. Wenn man sich nicht durch laute Geräusche verriet, wusste das Wild nicht, dass es beobachtet wurde. Und auch andere nächtliche Besucher des Waldes würden den Jäger im schwarzglänzenden Anzug nicht sehen.
     
    Der Mann schaltete die Infrarotleuchte ein. Der Wald leuchtete nun in verschiedenen Grüntönen. Der nackte Körper
der vor ihm auf dem Boden liegenden Frau fluoreszierte neongrell.
    Sein Mund öffnete sich einen Spalt, und die Zungenspitze schob sich wie bei einer züngelnden Schlange zwischen die Zähne. Er drehte an den Okularen, bis das Bild scharf war. Perfekt. Mindestens drei Stunden nächtlicher Sicht. Er hatte es getestet. Und im Rucksack waren noch Ersatzbatterien.
    Die Frau auf dem Boden stöhnte erneut. Dann zuckte ihr rechter Arm. Es wurde Zeit.
    Er glitt mit den Armen durch die Träger des Rucksacks und bewegte den Oberkörper wie tanzend hin und her, um ihn zurechtzurücken. Dann beugte er sich nach vorn, führte den mitgebrachten Tragegurt unter der linken Achsel der Frau hindurch, dann unter der Brust entlang zur rechten Achsel, drückte ihren Rücken ein wenig nach oben und verknotete die losen Enden. Das Zuggeschirr war fertig. Wie ein schwer beladener Weihnachtsmann, den Gurt über der Schulter, zog der schwarze Mann nun das schlaffe Bündel hinter sich her, den schmaler werdenden Pfad entlang in den grünschimmernden Wald.
    Der Mann verlagerte das Gewicht auf die Fersen und federte dann ein wenig vor und zurück. Vor seinen Augen wippte der grüngelbe Wald im gleichen Takt.
    Noch immer lag die Frau, wie er sie drapiert hatte, auf dem Bett aus Laub und Nadeln: die Beine ordentlich nebeneinander, die Hände locker über der Brust gefaltet. Aber gewiss nicht mehr lange. Das Betäubungsmittel wirkte nicht ewig. Er hatte es an sich selbst ausprobiert.
    Sie würde schon bald erwachen, sich umsehen; feststellen, dass sie sich in einem finsteren Wald befand – nackt, frierend –,
und hilflos davonstürzen. Falls sie sich an die Stunden davor erinnerte, würde das ihre Angst noch steigern.
    Eine Jagd.
    Eine erregende, pulsfrequenzsteigernde Jagd auf echte Beute. Er hatte sich das in seiner Fantasie schon so lange ausgemalt, dass er es jetzt kaum noch erwarten konnte.
    Jetzt zuckten die Finger der Frau. Dann rutschte der rechte Arm langsam über den Oberbauch, landete auf dem Moos und blieb dort liegen.
    Der Mann atmete schneller und erstarrte, als die Frau die Augen aufschlug. Ihr Kopf rollte von rechts nach links und löste sich dann vom Waldboden. Lautlos nach Luft ringend beobachtete er, wie sie die Arme anwinkelte und neben dem Oberkörper aufstützte. Dann richtete sie sich vorsichtig in eine Sitzposition auf. Der Mann bemühte sich, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
    Wider besseres Wissen fühlte er sich von ihren wirr hin- und herhuschenden Augen beobachtet und zügelte seine nervösen Finger, die
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