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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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in höhermolekulares Polyethylenglykol einlegen musste.
     
    Nacheinander landeten die Objekte in Sezierschalen, gluckerte rosafarbener Spiritus in den Ausguss, nahm die Raumluft
mehr und mehr den klinischen Geruch nach konzentriertem Alkohol an. Das Herz war eine schmierige Angelegenheit gewesen. Er hatte die Konservierungsflüssigkeit inzwischen dreimal gewechselt, und es gab noch immer Farbe ab. Beim nächsten Mal würde er die entnommenen Organe gleich im Wald abspülen und säubern.
    Der enge Kragen des Kittels störte ihn beim Luftholen, und der Mann öffnete den obersten Knopf wieder. Dann rollte er mit dem Stuhl so dicht es ging an den Untersuchungstisch heran, zog die erste Sezierschale zu sich und tastete mit der Rechten nach der Lupe. Der Kanister mit dem PEG stand neben ihm. Laut Internet-Enzyklopädie war es ganz einfach, mit dieser Flüssigkeit haltbare Präparate herzustellen. Und was für ihn besonders wichtig war, diese konnten später jederzeit weiterbearbeitet werden, veränderten angeblich ihre Farbe nicht und waren nicht giftig. Man solle die Teile einlegen, gründlich durchtränken und abtropfen lassen.
    »Und genau das machen wir jetzt.«
    Die Flüssigkeit plätscherte aus dem Kanister in die große Tupperdose. Mit einer Gewebefasszange hob er die Objekte nacheinander in das PEG-Bad und schloss dann den Deckel. Dort würden die Trophäen bis zum nächsten Wochenende verweilen und sich in aller Ruhe mit Konservierungsmittel vollsaugen können.
    Summend reinigte Doctor Nex seine Geräte. Weiß schäumte die Bürste das heiße Wasser auf. Das konzentrierte Spülmittel war grün, der Schaum weiß. Das war rätselhaft. Der Schaum war immer weiß, egal, welche Farbe das Spülmittel hatte.
    Das Wochenende war fast vorbei. Morgen musste er wieder auf Tour gehen und den charmanten, ehrenhaften Vertreter geben. Der Mann lächelte probehalber sein verbindliches Verkäuferlächeln. Dann wickelte er seine Utensilien in das
hellbraune Wildlederetui ein und verstaute es im Rucksack neben dem Nachtsichtgerät. Man konnte nie ahnen, wer oder was einem die Woche über so alles begegnen würde.

4
    Lara speicherte den Text und sah zu Tom. »Soll ich den anlassen?« Sie deutete auf den Bildschirm.
    »Mach ihn aus. Ich glaube, es kommt heute keiner mehr von den Freien in die Redaktion.«
    »Ich gehe jetzt. Wenn der Richter es durchzieht, dauert es bestimmt bis sechs, sieben.« Lara prüfte den Inhalt ihrer Tasche und sah auf die große Uhr, die hinter Toms Strubbelkopf die Sekunden abtickerte.
    »Dann bin ich schon weg. Ich gehe heute Abend aus.« Ihr Gegenüber grinste abwesend. Donnerstag war Toms Kinotag. Lara fragte sich, welche seiner Eroberungen heute eingeladen war. Dann warf sie sich die Tasche über die Schulter und nahm ihr Handy vom Tisch. Auf dem Weg zur Tür konnte sie spüren, wie Tom ihr nachsah und dabei ihren Hintern musterte. Das tat er öfter und dachte wohl, Lara würde nicht bemerken, wie seine Augen über ihre Brüste, ihre Hüften oder zu ihrer Rückseite wanderten. Lara hatte ihn damals, als mit ihrem Freund Schluss gewesen war, abblitzen lassen, und das wurmte ihn offensichtlich noch immer.
     
    »Das hört sich für mich nach einem Borderline-Syndrom an.« Mark klang ein bisschen genervt, aber Lara traute sich nicht zu fragen, ob es mit ihrem Anruf oder mit etwas anderem zu tun hatte.

    Sie hatte Mark Grünthal bei einer Weiterbildungsveranstaltung kennengelernt. Der Psychologe hatte einen Vortrag über die Charakterzüge und Grundmuster von Serientätern gehalten. Der Titel war ihr heute noch im Gedächtnis: »Organized and disorganized – die FBI-Typologie zu Sexualtätern«. Mark arbeitete neben seiner Tätigkeit als Psychologe auch als Fallanalytiker. Ab und zu zogen Fallanalyseteams der Kriminalpolizei in Deutschland auch externe Berater hinzu, zum Beispiel Rechtsmediziner oder Psychologen.
    Nach der Veranstaltung hatte Lara noch ein paar Fragen gehabt, und sie waren einen Espresso trinken gegangen. Die Monate darauf hatten sie sporadisch miteinander telefoniert, und allmählich war Mark zu so etwas wie Laras »Psychologieberater« geworden. En, zwei Mal im Jahr trafen sie sich auf irgendeinem Kongress, zu einer Weiterbildung oder einfach nur so, wenn er in der Nähe zu tun hatte.
    Der Freund dozierte inzwischen weiter, und sie kritzelte hastig Stichpunkte in ihre Gerichtskladde, bemüht, das Schwanken der Straßenbahn auszugleichen. »Borderliner sind emotional instabil. Sie zeigen
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