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Ungeheuer

Ungeheuer

Titel: Ungeheuer
Autoren: Claudia Puhlfürst
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durch das Sieb in die darunter befindliche
Plastikschale. Die Enden der Gewebefasszange schnappten nach dem festen Fleisch. Der Mann drehte das Organ vorsichtig und betrachtete die Oberfläche mit der Lupe.
    Es sah aus wie ein zu lange gebratenes Rumpsteak. Aber er hatte ja nicht vor, das Teil zu essen. Weder dieses noch irgendein anderes. Er war Doctor Nex, nicht irgendein dahergelaufener Kannibale.
    Eigentlich hatte er geplant, die Objekte bis zum Wochenende in der klaren Konservierungsflüssigkeit liegen zu lassen, aber der Radiobericht über den Leichenfund hatte die Lust in ihm geweckt, ein wenig daran zu arbeiten. Noch war er sich über die endgültige Form seiner Kreation nicht im Klaren. En Kunstwerk entstand im Schaffensprozess des Künstlers, nahm erst allmählich Gestalt an, veränderte sich, wuchs und gedieh.
    Er beugte sich nach vorn und schnüffelte. Alkohol und ein Hauch Süße. Keine Verwesung, keine Zersetzung. Das Konservierungsmittel war perfekt. Nur kurz schweiften seine Gedanken zu der nächtlichen Szene im Wald. Unruhige Chirurgenfinger hatten warmweiche Darmschlingen beiseitegedrängt, getastet, geschoben und gedrückt. Der Geruch nach mit Blut vermischter, angedauter Nahrung hatte ihm körperliches Unbehagen bereitet, zumal er sich weiter als gedacht in den Bauch hatte hineinarbeiten müssen. Die Gebärmutter war tiefer im Beckenraum verborgen gewesen, als er es sich nach seinen verblassten anatomischen Kenntnissen vorgestellt hatte. Dafür war sie nicht so festgewachsen wie der Magen und hatte sich leichter entfernen lassen. Es konnte nichts schaden, sein diesbezügliches Wissen in den nächsten Tagen ein wenig aufzufrischen.
    Sein Blick schweifte zu der großen Tupperdose, während
er das kleine, zähe Organ mithilfe der Zange in die Sezierschale bugsierte. Einen Magen würde Doctor Nex nicht noch einmal mitnehmen. Erstens war das Teil zu groß, zweitens zu ledern, und drittens bot es einen widerlichen Anblick. Beim Ausspülen des Inhalts hatte er mit dem Brechreiz kämpfen müssen. Sauer riechende, an Eintopf erinnernde Brühe war in den Ausguss geschwappt, und klebrige Bröckchen verstopften fast den Abfluss. Die weißlichen, schleimigen Wülste im Innern des leeren Magens hatten ihn geekelt. Nein, ein Magen war definitiv kein passendes Objekt für das Kunstwerk des Doctor Nex.
    Der Mann rückte die Sezierschale zurecht und lächelte abwesend. Fast zärtlich strich das Skalpell über die Oberfläche der Gebärmutter. Rotbraun öffnete sich ein Maul in dem muskulösen Fleisch. Tiefer glitt die Klinge hinein, weiter klaffte der Spalt. Schließlich durchdrang die Schneide eine feste innere Schicht. Der Mann zog die Ränder auseinander, musterte das Innenleben und schnitt an den beiden Längskanten noch etwas weiter ein. Das aufgeklappte Organ glich jetzt einem Schmetterlingssteak. Er fixierte die Ränder mit Präpariernadeln und verteilte dann großzügig Konservierungsflüssigkeit darüber. Fertig. Jetzt musste das Ganze zurück in den Kühlschrank, und morgen konnte er sich das Herz vornehmen.
    Der Mann zog seinen Laborkittel aus und brachte das Kleidungsstück zum Wäschekorb. Es sah zwar von Weitem noch sauber aus, aber Doctor Nex legte Wert auf klinische Reinheit. Und es hingen noch mehrere, makellos gebügelte Exemplare im Schrank.
    En Rad des Einkaufswagens klackte unentwegt über die Bodenfliesen im Supermarkt. Lara Birkenfeld machte einen zu großen Ausfallschritt, stieß mit dem Schienbein gegen die Querstange und fluchte leise. Dann sah sie sich um. Niemandem schien ihre Ungeschicklichkeit aufgefallen zu sein. Auf dem Mittelgang waren Sonderangebote in Metallkästen aufgetürmt. Alles Süßigkeiten. Lara schluckte und gab dem Wagen einen Stoß, sodass er schnell daran vorbeirollte. Auch direkt vor und neben den Förderbändern an den Kassen buhlten Schokolade, Gummibärchen, Kaugummis, Riegel und anderes Zuckerzeug um die Aufmerksamkeit der Käufer. Während man wartete, bis man an der Reihe war, wurde man gezwungen, die Packungen zu studieren. In Laras Mund sammelte sich Speichel. Sie zwang ihren Blick von den Verlockungen weg auf die Leute vor ihr. Noch zwei Kunden. An der Nachbarkasse ging es schneller. An der Nachbarkasse ging es immer schneller.
    Der Mann mit dem Hawaiihemd vor ihr griff sich eine Mittagspost und betrachtete die erste Seite. Nebenan quengelte ein Kind. An ihrer Kasse war die Bonrolle alle. Lara fluchte unhörbar. Das Hawaiihemd begann, seine Artikel auf das
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