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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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Minuten später hielt ich stolz ein Marmeladenglas in der Hand und verkündete Milad und Mojtaba: »Ich gehe auf Jagd!«
    Weil es keine Pflanzen außer den Rosensträuchern gab, konnte ich mein Glas nicht auspolstern, sondern steuerte direkt auf die Ameisen zu. Eine nach der anderen nahm ich vorsichtig zwischen Zeigefinger und Daumen und ließ sie über der Glasöffnung hinunterfallen. Genau wie in Schahmirzad wollte ich nun die Bienen hinzutun. Ich tastete mich von Blüte zu Blüte, untersuchte die Kronblätter – doch vergeblich. Das duftende Rosenbeet war leer. Ich gestand mir ein, dass meine Suche nichts brachte, und gab traurig auf. Das hier war nicht unser Obsthain in Schahmirzad, wo die Bienen und das Glück wohnten, sondern ein langweiliger Hof in Teheran, wo wir uns versteckten.
    Ich schüttelte das Glas so lange, bis alle Ameisen auf dem Beet gelandet waren, setzte mich auf das Betonsteinpflaster und kreuzte trotzig die Arme vor der Brust.
    Auf einmal hörte ich Mojtaba hinter mir, der auf den Hof stürzte und rief: » Batscheha , kommt, kommt schnell, ihr glaubt nicht, was ich im Keller entdeckt habe.«
    Ich stand, noch in Gedanken versunken, halbherzig auf und folgte ihm, der händefuchtelnd in den Keller verschwand. Milad kam mir nach.
    Unter dem Haus gab es zwei getrennte Räume. Die Decke konnte ich fast mit meinen Fingern berühren. Das Tageslicht durchdrang mehrere kleine Fenster.
    »Dürfen wir eigentlich überhaupt hier rein?«, fragte ich mehr mich selbst als Mojtaba, der nicht mehr aufzuhalten war und uns mit der Hand bedeutete, ihm in die Kammer neben der Treppe zu folgen.
    »Wo bleibt ihr denn? Kommt doch rein, seht euch das bloß an«, rief Mojtaba.
    Ich trat zögernd ein und traute meinen Augen nicht: Wir waren in einer Werkstatt voller Werkzeuge. Auf der linken Seite hingen Hämmer, Sägen und Schraubenzieher an der Wand, darunter befand sich ein riesiger hölzerner Arbeitstisch, auf dem Schrauben und Nägel in verschiedenen Größen gut sortiert nebeneinanderlagen. In einer Ecke türmte sich ein Haufen Holzstücke, daneben an der Wand lehnten Bretter.
    Glücklich schloss ich die Augen. Ein Gefühl von Wärme stieg in mir auf, Bilder zogen vorbei. Ich sah uns drei auf unserem Stück Land in Schahmirzad versunken am Werkeln: Mit einer Schaufel buddelte ich eine kleine Vertiefung in die Erde. Die beiden anderen waren mit Sägen beschäftigt. Milad hielt auf dem Boden einen Ast fest, während Mojtaba sich mit einer Hand darauf abstützte und mit der anderen die Säge hin und her zog. Die Holzspäne flogen dabei in alle Himmelsrichtungen. Stundenlang sammelten wir Äste, sägten sie zurecht und stellten sie kegelförmig um die Vertiefung herum auf. Dann banden wir sie mit Schnüren zusammen und stülpten darüber ein Bettlaken. Fertig war dann unser Indianerzelt.
    »Ich hab’s! Ich weiß es! Ja, das ist toll! Bahale , bahale! «, platzte es aus Mojtaba heraus. Seine Stimme vibrierte vor Aufregung.
    »Was denn? Verrat’s doch endlich«, entgegnete ich ungeduldig.
    »Aus diesen Sachen bauen wir uns Fahrräder und veranstalten wie in Ekbatan ein Rennen«, sagte er und deutete gleichzeitig mit seinen Zeigefinger Richtung Metalltor.
    Die Idee versetzte uns in helle Aufregung. Wir begannen, gedankenversunken und den Blick auf den Boden geheftet, im Raum hin und her zu gehen. Milad hob schließlich als Erster wieder den Kopf.
    »Ein Fahrrad zu bauen ist viel zu schwierig«, sagte er. »Wir werden es nicht schaffen, die schrägen Stangen fest genug zusammenzubringen.«
    Es wurde so still in der Werkstatt, dass man unsere Enttäuschung fast spüren konnte.
    »Aber was wir bauen können, ist eine Tschar-tscharche , eine einfache Seifenkiste.«
    Milad erklärte, weshalb das leichter und stabiler wäre, was wir beachten müssten und wie es aussehen könnte. Mojtaba schaute sich bereits um und nahm die Säge in die Hand.
    »Warte doch mal«, stoppte ich ihn, »wir müssen erst Madar fragen, ob wir überhaupt die Werkzeuge benutzen dürfen.«
    Zerknirscht stellte er die Säge wieder an ihren Platz und wir gingen hoch, wo Madar allein im Wohnzimmer saß. Mojtaba preschte vor und versuchte, sie von unserer Sache zu überzeugen. Er ging aufgeregt entlang des Tisches hin und her und gestikulierte wild mit den Händen. Milad und ich ergänzten seine Ausführungen. Madar, die recht amüsiert schien und lächelte, schaute uns abwechselnd an. Sie hörte uns so lange zu, bis keiner mehr etwas hinzuzufügen hatte
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