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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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noch in tiefes Blau gehüllt, aber über dem Mauerrand schimmerte es schon etwas heller. Die Sonne kündigte sich sanft an. Der Innenhof lag regungslos vor mir. Sogar die Rosen schienen noch zu schlafen. Außer ein wenig Vogelgezwitscher war nichts zu hören.
    Auf dem Weg zum Metalltor ging ich noch einmal meinen Plan durch: Ich würde bis zum Ende der ungeteerten Straße laufen, dann auf die Hauptstraße abbiegen, wo wir hergekommen waren, dort am Straßenrand Ausschau halten, bis sich eines der vielen orangefarbenen Taxis näherte, um dann mit einer Handbewegung zu signalisieren, dass ich mitfahren wollte. Es musste klappen. Ich hatte schließlich Hunderte Male beobachten können, wie Erwachsene das taten. Der Plan erschien mir perfekt. Wie glücklich alle sein würden, wenn ich Erfolg hatte!
    Am Tor angekommen, umschloss ich mit einer Hand die Klinke und drückte sie herunter. Sie war modern und bei Weitem nicht so schwergängig wie die der Haustür. Ich zog daran, doch nichts passierte. Ich wollte gerade zu einem zweiten oder, wenn nötig, auch dritten Versuch ansetzen, als ich hinter mir eine Stimme hörte, die mich erstarren ließ.
    »Mojtaba, was machst du da?«
    Es dauerte einige Sekunden, bis mir bewusst wurde, dass es zum Glück nur Masoud war. Ohne mich umzudrehen zog ich einige Male heftig an der Klinke, aber diesmal schien das Tor wirklich abgeschlossen zu sein.
    »Mojtaba«, hörte ich Masoud etwas lauter rufen.
    Er würde noch alle aufwecken, dachte ich verärgert. Ich drehte nur meinen Kopf nach ihm um, ohne mich von der Tür wegzubewegen, und sah Masoud auf der obersten Stufe am Hauseingang stehen. Seine ohnehin großen Augen waren vor Schreck weit aufgerissen. Aber ich hatte keine Zeit dafür. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um auf die andere Seite zu gelangen. Mit der Hand bedeutete ich Masoud, er solle wieder reingehen, und schaute mich hastig nach einer Leiter oder etwas Ähnlichem um. Ich hatte Glück: Direkt neben den Stufen, die zur Haustür führten, war eine hohe Holzleiter an die Wand gelehnt, die wohl dazu diente, auf das Flachdach zu steigen. Masoud kehrte endlich ins Haus zurück und ich schlich mich auf leisen Sohlen an die Leiter heran. Ich nahm all meine Kraft zusammen, und mit einem Ruck hob ich sie zunächst einige Zentimeter und schwang sie dann in die Horizontale. Zu meiner Freude war sie viel leichter, als sie aussah. In Gedanken sah ich mich schon auf der Straße stehen. Ich musste nur noch dieses Tor überwinden.
    Langsam tappte ich in dessen Richtung zurück, doch kaum hatte ich das Beet erreicht, da hörte ich hinter mir Madars verschlafene, aber eindringliche Stimme: »Mojtaba, stell sofort die Leiter ab!«
    Mir war ruckartig klar, dass mein Plan aufgeflogen war. Im Augenwinkel sah ich einen graubraun gefiederten Spatz auf dem Beet landen. Er pickte mehrere Male nach etwas, schaute sich kurz um und flog wieder davon. Für einen Moment wünschte ich mir, mit ihm tauschen und davonfliegen zu können. Ich stellte mein Fluchtwerkzeug wieder ab und lief zu Madar.
    »Was hattest du denn vor?«, fragte sie mich und fuhr mir tröstend durchs Haar.
    Ich zögerte.
    »Wolltest du raus?«, hörte ich Masoud, der mit Milad hinter Madar stand, so staunend sagen, als glaubte er selbst nicht daran.
    Ich hatte keinen Grund, meinen Plan zu verhehlen. Unsere Mutter wurde niemals wütend wie andere Eltern, die ihre Kinder sogar schlugen. Ich erinnerte mich daran, wie ich an einem warmen Sommertag einem streunenden Hund, der mich fasziniert hatte, so lange hinterhergelaufen war, dass mir sowohl die große Straße, die wir nicht überqueren durften, als auch die vereinbarte Zeit, wann ich wieder zu Hause sein sollte, völlig gleichgültig gewesen waren. Als ich später Madar alles gestanden hatte, hatte sie mir in aller Ruhe erklärt, warum diese Vereinbarungen wichtig waren. Und ich hatte sie verstanden.
    »Ich wollte nur helfen.« Madar schaute mir direkt in die Augen. »Ich wollte zum Schuldirektor. Ich wollte ihn bitten, sich für dich einzusetzen. Dann müssten wir uns nicht mehr verstecken.«
    Madar lächelte kurz und fuhr mir erneut durchs Haar. Eine Träne rollte aus ihrem Augenwinkel und blieb an der Spitze ihrer kleinen Nase hängen. Doch bevor weitere folgen konnten, rieb sie sich mit beiden Handballen fest die Augen. Dann legte sie ihre Hände auf meine Wangen, schaute mich liebevoll an und sagte in einem bedächtigen Tonfall: »Auch der Schuldirektor kann nicht helfen.
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