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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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Vielleicht würde er uns sogar verraten. Wir dürfen auf keinen Fall dieses Haus verlassen. Wenn die Männer von der Regierung rauskriegen, wo wir sind, dann verhaften sie mich und ich komme ins Gefängnis.«
    In diesem Moment regte sich etwas in Milad und hastig umarmte er Madar von der Seite. Auch Masoud war näher gekommen und legte seine Hand auf Madars Schulter.
    »Die dürfen dich nicht einsperren! Wenn, dann müssen sie mich mitnehmen!«, protestierte Milad besorgt.
    »Im Gefängnis passieren schlimme Dinge. Keiner von uns darf dahin!«, korrigierte ihn Masoud.
    Ich wusste ganz genau, woran er dachte. Oft konnten wir zwei unsere Gedanken lesen – vielleicht war es so ein Zwillingsding. Und auch dieses Mal war ich mir sicher, dass er an Mostafa dachte. Wir drei besuchten vor einigen Jahren die Trauerfeier zum Jahrestag seines Todes. An jenem Tag umarmte und küsste uns seine Mutter so, als wären wir ihre eigenen Söhne. Sie war todtraurig, weinte ununterbrochen und Madar blieb den ganzen Tag bei ihr. Wir Brüder wussten nicht genau, was Mostafa widerfahren war, aber wir fanden heraus, dass er ins Gefängnis gekommen – und eines Tages die Todesnachricht überbracht worden war.
    Bei diesem Gedanken stockte mir der Atem. Entsetzt dachte ich an meinen Plan. Wie konnte ich nur so dumm sein und glauben, dass Madar nicht selbst auf die Idee gekommen wäre, wenn der Schuldirektor wirklich helfen könnte? Ich wollte alles tun, um die Gefahr von unserer Mutter abzuwenden, und hätte beinahe alles vermasselt. »Madar, die dürfen dich nicht kriegen! Sie dürfen uns nicht trennen!« Ich umklammerte sie immer fester und versprach ihr innerlich, nie wieder so unvorsichtig zu sein.
    MASOUD Meine Augen brannten. Seit Stunden saßen Mojtaba, Milad und ich auf den Granitstufen vor dem Haus von Chaleh Laleh. Es ging auf Mittag zu und die Sonne stieg so hoch, dass es in den Augen wehtat. Vor allem das Metalltor, das die Sonnenstrahlen spiegelte, blendete mich.
    Es waren nun einige Tage vergangen, seitdem wir durch dieses Tor gekommen waren – und seitdem absolut nichts Nennenswertes passiert war.
    Mojtaba fläzte sich neben mich auf die Treppe und stützte sich mit beiden Ellenbogen auf den Stufen ab. Milad spielte mit einem Wollknäuel. Von drinnen hörte ich leise Stimmen. Es waren Madar und Chaleh Laleh. In den vergangenen Tagen unterhielten sie sich viel. Und ich hatte das Gefühl, dass sie uns etwas verheimlichten und jedes Mal ihr Gespräch unterbrachen, wenn einer von uns in ihre Nähe kam.
    Ich versuchte mich daran zu erinnern, was ich wohl jetzt in der Schule machen würde. Mojtaba und ich waren in der fünften Klasse. Im Gegensatz zu Milad, der die Vierte besuchte, wurde es für uns in diesem Schuljahr ernst. Denn bald standen die Abschlussprüfungen an, wonach wir Dabestan , die Grundschule, verlassen und auf Rahnama-ie kommen würden.
    Höchstwahrscheinlich schrieb meine Klasse Dikteh . Und dann fiel mir ein, dass wir heute in den letzten beiden Stunden Sport hatten. Ich stellte mir vor, wie wir in einer Reihe auf dem geteerten Schulhof Aufwärmübungen machten, anschließend unser Lehrer uns in Mannschaften aufteilte, wir mit Mülleimern Tore aufbauten und dann kickten. Wut stieg in mir auf. Ich saß gelangweilt hier, während die anderen gleich Fußball spielten!
    Aber vor allem vermisste ich Farroch, unseren besten Freund. Es war das erste Mal, dass wir uns seit Tagen nicht gesehen hatten – obwohl keiner in den Urlaub gefahren war. Farroch war genauso alt wie Mojtaba und ich. Mit seiner Familie wohnte er gegenüber von unseren Großeltern. Da sowohl Madar als auch Farrochs Mutter arbeiteten, verbrachten wir die Nachmittage zusammen. Wir gingen zu viert zur Schule und besuchten danach unsere Großmutter. Wir machten Hausaufgaben und spielten auf dem Hof. Wenn Farroch bloß hier wäre und sein Atari-Pingpongspiel dabeihätte.
    »Hier ist es total langweilig«, maulte Mojtaba. »Wenn wir wenigstens unsere Fahrräder hätten, könnten wir wie in Ekbatan Rennen veranstalten.« Mojtaba deutete mit seinem Zeigefinger auf das Tor: »Ja, wir würden da hinten losfahren und wer als Erster hier ankommt, hat gewonnen.« Milad wandte sich uns interessiert zu.
    »Wenn dir so langweilig ist, versuch doch noch einmal zum Schulleiter zu gehen und mit ihm zu sprechen«, stichelte ich. Mojtaba verzog keine Miene. »Oder noch besser, du gehst am besten direkt zum großen Revolutionsführer, Ayatollah Chamenei, und bittest
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