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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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verbracht; meistens sahen wir ihn nur am Freitag, der im Iran arbeitsfrei war. Doch hier im Versteck hätte er mit uns wie freitags Ringen spielen können. Am wichtigsten wäre allerdings seine Hilfe beim Bau der Tschar-tscharche gewesen. Er hätte bestimmt eine Idee gehabt, woraus wir die Räder bauen könnten.
    Missmutig legte ich die Walnuss auf den Tisch, stieß sie von mir weg und stützte meinen Kopf auf die Hände. Rechts neben mir hing ein großer und sehr dichter Dattelzweig an der Wand. Auch Mamani und Babai hatten jedes Jahr einen solchen in der Küche hängen. Wenn wir sie besuchten, liefen wir stracks in die Küche und pflückten Datteln. Jeder durfte sich eine Handvoll nehmen. Zwei oder drei Mal hatten sie sogar israelische Datteln. Ich mochte sie am liebsten, weil sie viel größer und fleischiger als die iranischen waren, aber ich hatte immer Bedenken, ob ich sie essen durfte. Denn in den Schulbüchern hieß es, dass die Israelis zu Unrecht die Palästinenser aus ihrer Heimat vertrieben hätten und dass wir deswegen gegen die israelische Gewaltherrschaft eintreten müssten.
    Die Datteln von Chaleh Laleh waren zwar zu klein, um aus Israel zu stammen, aber auch auf sie hatte ich heute keinen Appetit. Um mir die Zeit zu vertreiben, begann ich sie innerlich zu zählen: » Yek , do , se , …«
    Auf einmal unterbrach mich Madar, die mit einer kleinen Tasse Tscha-i in der Hand am Esstisch stand: » Batscheha , kommt mit, ich habe etwas für euch.« Endlich passierte etwas, das uns drei aufweckte, wie die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings, die die Braunbären aus ihrer Winterruhe wachstreichelten.
    Madar führte uns über den Hof in den Keller und als sie in der Werkstatt angekommen war, zeigte sie in eine Ecke, wo ungefähr ein Dutzend Holzscheiben gestapelt lagen, jede etwas größer als ein Handteller.
    »Für unsere Tschar-tscharche ?«, fragte Milad verblüfft. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Das waren ja Räder!
    »Als ihr gestern schon geschlafen habt, habe ich Amu Haschem gefragt, ob er euch helfen könne. Er ist sofort in die Werkstatt gegangen und hat das hier fertig gemacht. Es sind genau zwölf Scheiben und er sagte, er habe sie auch schon in der Mitte durchbohrt. Was meint ihr? Chube ?«
    » Aliye! «, stieß Milad aus und hüpfte buchstäblich auf Madar zu, um sie zu umarmen. Dabei fiel Madars Tasse auf den Boden und zerbrach, aber das kümmerte sie anscheinend nicht, denn sie lächelte weiter.
    Ich lief zu den Holzrädern, als könnte ich es nur glauben, wenn ich sie berührte. Sie waren perfekt: Dermaßen rund und glatt, dass ich mich schon auf meiner Tschar-tscharche sitzen und durch den Hof rollen sah. Ich wollte sofort anfangen zu arbeiten. » Yallah! «, rief ich meinen Brüdern zu. »Für Umarmungen ist später Zeit, jetzt geht’s an die Arbeit!«
    »Jawohl, ich werde Ihre Befehle ausführen!«, erwiderte Masoud lachend und salutierte dabei.
    »Wenn ihr mich braucht, ich bin oben bei Chaleh Laleh. Und Mojtaba Chan , sei nicht zu hart zu deinen Brüdern!«, witzelte Madar, als sie auf den Stufen zum Hof stand.
    »Milad, hast du deine Skizze dabei?« Er nickte mir stolz zu und griff nach dem Zettel in seiner Brusttasche. » Agha Architect , was benötigen wir?«
    »Kommt her, ich zeig’s euch!« Er drehte sich zum Arbeitstisch in der Ecke und breitete darauf seine Skizze aus. »Nach meinem Plan brauchen wir für eine Tschar-tscharche vier Balken. Aus denen bauen wir den Grundrahmen. Zwei Längere für die Seiten und zwei Kürzere für vorne und hinten.«
    »Mojtaba, deine Balken müssen besonders stabil sein, sonst halten sie dich nicht aus«, stichelte Masoud.
    Er versuchte ständig, mich als dick darzustellen; vor allem wenn er beim Ringen wieder einmal gegen mich verloren hatte. »Keine Sorge, Schwätzer, ich krieg das schon hin. Nimm du lieber den Stift, der auf dem Tisch liegt, und schreib mit, was wir brauchen.«
    Ich nickte Milad zu und er legte los: »Also, wir befestigen die Hauptbalken mit langen Nägeln aneinander. Im hinteren Teil müssen wir zwischen den seitlichen Balken noch zwei kurze Balken anbringen. Darauf können wir uns setzen. Und ganz vorne hauen wir zwei handgroße Kanthölzer rein. Das werden unsere Griffe, an denen wir uns beim Fahren festhalten müssen.« Fasziniert hörte ich ihm zu. Der kleine, stille Milad blühte in solchen Momenten auf, er verwandelte sich, sodass ich beinahe vergaß, wie alt er eigentlich war. Es kam mir vor, als blickte
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