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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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und Mojtaba stehenblieb.
    »Ihr müsst Amu Haschem um Erlaubnis bitten, aber keine Sorge, er wird von eurem Vorhaben begeistert sein«, sagte sie schließlich. Als sie unsere noch immer ungeduldigen Gesichter sah, schob sie nach: »Wisst ihr was? Ich frage ihn einfach.«
    MILAD In dieser Nacht, lange nachdem das tiefe Atmen meiner Brüder eingesetzt hatte, lag ich noch wach. Gedanken um den Bau der Tschar-tscharche überschlugen sich in meinem Kopf. Konnten wir wirklich alles aus Holz bauen? Und wenn ja, wie dick müsste jedes einzelne Teil sein, damit die Seifenkiste unser Gewicht aushalten würde? Und was konnten wir als Sitze benutzen? Mit jeder Minute schossen mir neue Ideen durch den Kopf und ich sah schon, wie wir mit der Säge im Keller die Holzstücke in die richtige Länge schnitten, um sie dann mit Schrauben und Nägeln zu verbinden. Die Gedankenflut überschwemmte mich regelrecht, bis ich es nicht mehr aushielt. Ich schlug vorsichtig die Decke zur Seite und stand auf. Schritt für Schritt tastete ich mich langsam zum kleinen Schreibtisch neben der Tür vor, nahm ein weißes Blatt und einen Bleistift und setzte mich vor die Tür. Durch einen kleinen Spalt drang das schwache Licht des Nachtlämpchens aus dem Wohnzimmer. Endlich konnte ich meine Ideen zu Papier bringen. Ich fing an, eine Zeichnung von meiner Tschar-tscharche anzufertigen. Die Linien waren zittrig und ungerade, trotzdem fühlte ich mich mit jedem Bleistiftstrich leichter und glücklicher. Schließlich nahm ich das Blatt in die Hände und lächelte. Die Zeichnung war fertig. Die elektrisierende Anspannung in meinem Körper wich einem zufriedenen Wohlgefühl. Jetzt konnte ich endlich schlafen gehen. Ich schlich langsam wieder zurück zu meiner Decke und legte die Zeichnung neben das Kissen. Innerhalb weniger Minuten war ich eingeschlafen.
    Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war meine Begeisterung ungebrochen.
    »Wacht auf, wacht auf!«, bestürmte ich meine noch schlafenden Brüder.
    »Was ist passiert?«, fragte Masoud etwas besorgt.
    »Nichts. Ihr sollt nur aufwachen. Ich konnte gestern nicht schlafen. Ich muss euch was zeigen!«
    Mojtaba, der sich inzwischen aufgesetzt hatte, fragte mit halboffenen Augen: »Geht es um die Tschar-tscharche ?«
    »Ich habe eine Zeichnung gemacht«, sagte ich und holte das Blatt Papier.
    In einem Zug erklärte ich ihnen die einzelnen Bauteile – ohne nach Luft zu schnappen. »Wir können das schaffen«, kam ich zum Ende, »nur die Räder werden schwierig. Wir müssen etwas Rundes finden. Außerdem müssen sie sich irgendwie drehen können.«
    »Lass schauen, ob Madar schon Amu Haschem um Erlaubnis gefragt hat«, sagte Masoud und sprang auf.
    »Sie wird bestimmt in der Küche sein«, erwiderte Mojtaba.
    Wir liefen hin, doch dort war sie nicht. Auch im Wohnzimmer oder im Bad konnten wir sie nicht finden.
    »Wo könnte sie bloß sein?«, fragte Mojtaba schon leicht besorgt. »Sie darf doch nicht nach draußen.«
    »Ahh, da ist Chaleh Laleh.« Masoud zeigte auf die Schlafzimmertür, aus der sie gerade herauskam. » Sobh becheyr, Chaleh . Wissen Sie, wo Madar ist?«
    » Sobh becheyr . Sie ist kurz weg, macht euch keine Sorgen«, erwiderte sie mit einem Lächeln und ging weiter in die Küche.
    Nach einer Weile murmelte Masoud: »Sie muss bestimmt etwas erledigen. Ich gehe mir mal die Zähne putzen.«
    Mojtaba folgte ihm lustlos.
    Weil ich nun ganz alleine mit meiner Zeichnung in der Hand dastand, machte ich mich auf den Weg in Richtung Keller. Vielleicht ließ sich dort ja etwas für die Räder finden. Dann fiel es mir wieder siedend heiß ein: Madar hatte immer noch nicht Amu Haschem um Erlaubnis gefragt. Wo war sie nur? Seitdem wir hier bei Amu Haschem und Chaleh Laleh waren – ohne Pedar –, war zumindest sie stets da. Ein schreckliches Bild nahm in meinem Kopf Gestalt an: Madar, wie sie von zwei uniformierten Männern weggezerrt wurde. Plötzlich fiel mir die Leiter zum Poschtebum ein, dem flachen Dach des Hauses. Madar hatte uns verboten, tagsüber aufs Dach hochzuklettern, weil uns die Nachbarn sehen könnten. Doch mir kam eine Idee. Ich rannte in unser Schlafzimmer und nahm meine Decke und lief damit zur Leiter. Es waren viele Stufen, doch aus Schahmirzad kannte ich sogar eine noch längere Leiter. Ich packte die Decke auf meine Schulter und kletterte hoch, ohne dabei nach unten zu schauen. Oben angekommen, legte ich mich schnell auf den Boden und zog die Decke über mich. Als ich sicher war, meinen
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