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...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst

...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst

Titel: ...und wenn Du auch die Wahrheit sprichst
Autoren: Julia Arden
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ihre Überraschung, so gut sie konnte. Wenn Tanja von ihren ursprünglichen Absichten nichts wusste – und woher sollte sie schließlich –, verfügte sie über eine gute Beobachtungsgabe. »In meinem Job werde ich oft mit Situationen konfrontiert, in denen die Dinge sich überschlagen. Da muss ich trotzdem die Übersicht behalten«, erwiderte Michaela und hoffte Tanja damit eine Erklärung zu geben.
    »Was machst du?«
    »Ich bin Assistentin im Management.«
    Der Kellner kam mit dem Wein und fragte, was sie zu essen wünschten. Sie bestellten Kalbsbraten.
    »Hört sich ziemlich bedeutend an«, meinte Tanja. »Macht dir die Arbeit Spaß?« fragte sie.
    »Ja.« Michaela wartete nicht, bis Tanja fragen würde, wo genau sie arbeitete. Und schon gar nicht hatte sie vor, es ihr zu sagen. Obwohl es einfach gewesen wäre. Zum Beispiel so: Was für ein lustiger Zufall, mein Chef heißt mit Nachnamen genau wie du. Was? Das ist dein Vater? So was! Zufälle gibt’s.
    Nein, Michaela zog es vor, dieses Thema geschickt zu umschiffen, denn sie wollte nicht, dass Tanja sich ihr gegenüber verschloss. Das würde sie aber ganz sicher tun, wenn sie wüsste, wer Michaelas Chef war.
    »Und was ist mit dir?« fragte Michaela deshalb schnell. »Wann wirst du mit deinem Studium fertig?«
    »In vier Wochen.«
    »Schon einen Job in Aussicht?« Natürlich war Michaela auch bekannt, dass Tanja den besten Job der Welt hätte, wenn sie nur wollte.
    »Nein.«
    »Na, das wird sicher kein Problem. Ich schätze, deine Abschlussnote auf mindestens eins Komma fünf. Oder?«
    Tanja lächelte. »Komma drei«, berichtigte sie.
    Michaela pfiff leise. »Alle Achtung. Dein Vater, auch wenn er nicht der Einfühlsamste ist«, was meine Erfahrungen durchaus bestätigen, »ist doch sicher stolz auf dich.«
    Tanja zuckte nur mit den Schultern. »Das wäre er wohl, wenn ich etwas mehr seinen Vorstellungen entspräche.«
    »Ich dachte, ihr müsstet euch besonders nahestehen, wenn . . . wenn deine Mutter so früh gestorben ist«, forschte Michaela vorsichtig.
    »Nein. Ich bin meinem Vater nicht besonders wichtig. Hinzu kommt, dass wir in den meisten Dingen verschiedener Auffassung sind. Das macht es sehr schwierig. Das ist auch der Grund, warum ich nicht weiß, was ich nach meinem Studium machen werde. Nur eines weiß ich ganz genau: Ich werde nicht in seine Fußstapfen treten und später einmal die Hotelkette übernehmen, so wie er es sich wünscht.« Tanja sah Michaela offen an. »Jetzt denkst du sicher, ich bin so eine verwöhnte, reiche Göre, die nicht weiß, wie froh sie sein kann, sich ins gemachte Nest setzen zu können. Die alles einfach so bekommt, wofür andere hart arbeiten müssen.« Tanja seufzte. »Na ja, vielleicht ist es ja so.«
    Michaela ließ auch diese Gelegenheit verstreichen Tanja zu sagen, wer ihr Chef war. Obwohl es bei der Erwähnung des Wortes Hotelkette angebracht gewesen wäre, die Bemerkung einzuschieben, dass sie für eine solche arbeitete. Doch sie wollte unbedingt vermeiden, dass Tanja sich wieder zurückzog. Statt dessen fragte sie: »Gefällt dir der Job nicht, den du machen sollst?«
    »Der Job wäre schon in Ordnung. Darum geht es nicht.«
    »Und worum geht es?«
    »Darum, dass sich in unserer Familie immer alles ausschließlich um die verdammte Firma dreht. Mein Vater hat das Unternehmen von seinem Vater geerbt und lebt in der Vorstellung, dass es nichts Wichtigeres gibt. So hat er es gelernt. Selbst als meine Mutter starb, ging er tags darauf ins Büro.«
    »Vielleicht war es das einzige, was ihm Halt gab.«
    »Ja, das ist schon möglich. Und ich weiß auch, dass er als Firmenchef eine Verantwortung gegenüber seinen Angestellten hatte. Da konnte er nicht einfach alles hinwerfen und sich der Trauer hingeben. Was ich nicht verstehe, was war mit seiner Verantwortung gegenüber seiner Tochter? Da reichte es nur für ein Kindermädchen.«
    »Welches sich freute, dass ihr Schützling so ruhig war«, vermutete Michaela. »Das ersparte ihr unnötigen Stress. Sie sah keinen Grund, deinen Vater mit der Tatsache zu konfrontieren, dass du dich einsam fühlen könntest.« Es brauchte keine besonderen hellseherischen Fähigkeiten, das zu erraten. So sah die Geschichte also aus Tanjas Sicht aus.
    »Aus Langeweile machte ich meine Hausaufgaben sehr gründlich, las viel. Das brachte mir gute Noten in der Schule und den Ruf der eigenwilligen Außenseiterin ein. Ich hatte nie eine wirkliche Freundin, jemand, mit der ich reden
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