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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte
Autoren: Christoph Quarch
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Das scheint mir nach allem, was wir jetzt gemeinsam betrachtet haben, der zuverlässigste, schönste und freudvollste Weg zu einem sinnerfüllten Leben.
    Aber halt! Bevor ich weiter darauf einsteige, darf ich es nicht versäumen, Ihnen diesen kleinen inneren Widerstand zu nehmen, den ich jetzt schon bei einigen von Ihnen spüre: diese Sache mit »männlich« und »weiblich«. Ich fürchte nämlich, da könnte sich in Ihrem Kopf so etwas regen wie »Jetzt will er uns Frauen auf Empfänglichkeit festnageln! Na, bravo! Tolles Rollenverständnis!« – Aber da rufe ich »Halt, halt, halt!« Das will ich nicht sagen, und das wollte auch Platon nicht sagen. Im Gegenteil: Die heimliche Pointe von Diotimas Geschichte liegt gerade darin, dass sich Penia – die Mutter – ganz so verhält, wie es dem väterlichen Anteil des Eros entspricht: aktiv, kreativ, couragiert; während Herr Poros sturztrunken im Garten liegt und vor allem die »mütterlichen« Anteile des Eros realisiert, ist er doch durch und durch passiv, empfänglich, hingebungsvoll. Ich deute das so, dass Diotima damit sagen will: Es gibt zwar einen weiblichen und einen männlichen Anteil des Eros; aber das heißt nicht, dass Frauen immer empfänglich-hingebungsvoll und Männer immer kreativ-aktiv sind. Im Gegenteil: Jeder Mensch hat diese Anteile in sich – und auch wenn sie je nach Geschlecht womöglich unterschiedlich verteilt sind, so können (und sollten) sie doch von Männern und Frauen gleichermaßen entwickelt werden.
    Worauf es ankommt, ist am Ende nur, dass Sie Ihr Herz öffnen und sich für die immer und überall – wenn auch zuweilen gar so versteckte – präsente Schönheit und Sinnhaftigkeit des Lebens öffnen. Das sinnlich-liebende Herz ist Ihr Organ für den Sinn. Wenn es sich mit all seiner Sinnlichkeit und Weisheit mit der Klarheit des Denkens verbindet; wenn es empfänglich bleibt für die Schönheit und Sinnhaftigkeit des Lebens und Sie dem in Ihrem Tun und Lassen Ausdruck verleihen, dann wird Ihnen die kostbare Ressource Sinn stets zugänglich sein. Empfänglichkeit und Hingabe – eine demütige Gelassenheit angesichts dessen, was ist –, verbunden mit der schöpferischen dionysisch-apollinischen Kraft, das Leben nach Maßgabe der ihm eigenen Tendenz zu Harmonie und Stimmigkeit zu fügen – das sind die Ingredienzien, aus denen eine erotische Lebens- und Liebeskunst gemischt ist, die am Ende dazu führt, dass ES STIMMT.
    Aber noch einmal: Die tragende Säule dafür ist die Empfänglichkeit – diese »mütterliche« Demut und Hingabe, das Leben zunächst einmal so zu nehmen, wie es ist. Sie fehlte in Platons Symposion bei all den gewandten und gewieften Rednern, die dort in kunstvollen Reden den Eros (und vor allem sich selbst) priesen. Sehr »männliche« Reden kamen dabei heraus, die viel vom Willen zum Eros und von seinem Nutzen für das Gemeinwesen handelten; oder auch von seiner Bedeutung für dieMoral. Deshalb blieben diese Reden alle unstimmig und quer. Spürbar verfehlten sie die Wahrheit der Liebe. Erst da, wo Platon – mit einem literarischen Geniestreich ohnegleichen – in Gestalt der Diotima eine Frau über die Liebe sprechen lässt und die tragende Qualität der sinnlich-hingebungsvollen Empfänglichkeit zur Geltung bringt, stimmt plötzlich die philosophische Deutung des Eros; und vervollständigt sich das Bild einer Lebens- und Liebeskunst, die uns den Weg zum großen »Ja!« bahnt.
    Zwei Flügel hat der Erosknabe: zwei Aspekte, die er braucht, um uns Menschen dem Sinn unseres Lebens – der Sphäre des Ewigen und Göttlichen inmitten des Lebens – nahezubringen: »männliche« Kreativität und »weibliche« Empfänglichkeit. Ist nur einer dieser Flügel entwickelt, dann mag Eros flattern, wie er will – er wird sich nicht erheben. Und ganz so wird auch eine Lebenskunst, die nur auf einen dieser Flügel setzt, niemanden dazu bringen, das große, durchdringende und tiefe »Ja!« im Herzen zu tragen. Eine solche Lebenskunst wird zwar der Erde treu bleiben, aber nicht, weil sie das irdische Leben vor dem Horizont seiner göttlichen, golden glänzenden Schönheit feiert (wie die erotische Lebenskunst), sondern weil sie gar nicht in der Lage ist, abzuheben und den Geist und das Herz des Menschen dieser höheren Dimension des Lebens zuzuführen. Und eben das scheint mir das Schicksal der modernen und postmodernen Lebenskünste zu sein.
    In Wilhelm Schmids Philosophischer Lebenskunst ist viel die Rede davon, sich ein schönes
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