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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte
Autoren: Christoph Quarch
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gewaltiger Zauberer, Alchimist und Forscher«. Eros’ Mutter dagegen, Penia, trägt die Bedürftigkeit ( penía ) in ihrem Namen. Sie hat nichts, ist arm, aber sich doch ihrer Armut bewusst. Ihr eigentliches Wesen ist die Empfänglichkeit.
    Wenn wir diese Szene ihres mythischen Gewandes entledigen, dann kommt Folgendes heraus: Damit leidenschaftliche Liebe (Eros) im Herzen eines Menschen entflammt, müssen drei Komponenten zusammenkommen. Zunächst bedarf es einer Atmosphäre der Schönheit – der Goldglanz der Bejahbarkeit und Sinnhaftigkeit des Lebens muss auf das Herz des Menschen fallen. Was immer und jederzeit geschehen kann, wenn – ja, wenn – es denn dafür empfänglich ist. Deshalb ist die weibliche Komponente der hingebungsvollen, gelassenen und sinnlichen Empfänglichkeit so wichtig, die alle Kanäle aufmacht, um sich von der Schönheit und Wahrheit des Lebens berühren und durchdringen zu lassen. Es kann noch so viel Schönheit in der Welt sein – wenn Sie sich nicht von ihr berühren und ansprechen lassen, werden Ihr Herz und Ihre Sinne verschlossen bleiben, und Sie werden nie mit Sinn und Sinnlichkeit das große »Ja!« erfahren. Also kommt alles darauf an, dass Sie die weibliche Weisheit des Herzens kultivieren: sich berührbar machen, es zulassen, dass die Welt und das Leben Sie etwas angehen. »Was geht mich das an?«, so fragt ein verschlossenes, vereistes, cooles Herz. Und solange es so fragt, wird ihm das große »Ja!« auf ewig verschlossen bleiben.
    Hätte Frankl nicht über die weibliche Weisheit des Herzens verfügt – wäre er nicht in der Liebe gewesen –, hätte er angesichts des Lichts in dem Bauerngehöft womöglich gedacht: Pah, was geht mich das an. Ich habe vom Leben eh nichts mehr zu erwarten. Dann wäre er (nach eigenem Bekunden) im KZ verreckt. Er aber war in der Liebe. Er gewahrte im aufflammenden Licht den Goldglanz des Lebens. Er ließ sich angehen und war berührbar. Der Boden unter seinen Füßen war gefroren, nicht aber sein Herz. Und so blieb er am Leben. So schuf er in diesem Augenblick das Leben neu. Er machte sich dafür empfänglich und fragte: Was erwartet das Leben von mir? So wie Penia neues Leben schuf, da sie den Poros an Aphrodites Geburtstag empfing. Empfänglichkeit, Berührbarkeit, Hingabe an das, was ist – das sind die wichtigsten Voraussetzungen für ein Sein in der Liebe; ein Leben, in dem sich das große »Ja!« ereignen kann.
    Aber es braucht daneben den männlichen Pol: Wer immer nur empfänglich ist, wer stets nur aufnimmt und niemals gibt, dem verkümmert genauso die Seele wie demjenigen, der immer nur aktiv und kreativ ist. Beides muss zusammenkommen. Die Liebe kann im Leben nur reifen und gedeihen, wenn sie Gestalt annimmt, wenn Sie ihr Ausdruck verleihen. »Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über«, sagt eine alte biblische Weisheit und hat Recht. Die Liebe muss sich mitteilen, in Zärtlichkeit und Sex, in Partnerschaft und Ehe, in Hilfsbereitschaft und Solidarität, in Poesie und Musik. Um lebendig zu bleiben, muss sie sichtbar werden. Sie kann nicht anders, als couragiert dafür einzutreten, dass zusammenkommt, was zusammengehört: auf dem Liebeslager nicht anders als in der Kunst. Und dass in Ordnung kommt, was nach Ordnung verlangt: in der Politik nicht anders als in der Musik. Und dass ins Gleichgewicht findet, was Balance braucht: in der Partnerschaft nicht anders als in der Ökonomie. Kurz: Das liebende Herz will, dass ES STIMMT; das liebende Herz will, dass es sinnvoll ist. Es hat diese durch und durch apollinische Seite an sich und kommt nur dann zur wirklichen Entfaltung, wenn es ihr Raum gibt und dafür Sorge trägt, dass die Welt in Ordnung ist. Wozu es allerdings immer – auch das unterschlägt Diotimas großartiger Mythos von der Geburt des Eros nicht – den rauschhaft dionysischen Anteil als Gegenpol braucht. Wäre Poros nicht berauscht – kein Eros wäre je gezeugt worden. Der väterliche Anteil also verbindet die beiden großen »männlichen« Quellen eines sinnerfüllten Lebens: Dionysos und Apollon. Ohne deren Miteinander nämlich bliebe Eros fad und konformismusanfällig. Nietzsche hatte schon Recht: »Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.« Das gilt auch für Eros.
    Aphrodisisch-sinnliche Empfänglichkeit und dionysisch-apollinische Kreativität – Mutter und Vater des Eros, weiblicher und männlicher Anteil. Beides vereint zu einer erotischen Lebens- und Liebeskunst:
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