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Und Nietzsche lachte

Und Nietzsche lachte

Titel: Und Nietzsche lachte
Autoren: Christoph Quarch
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Leben zu machen. Ja, er hat Sinn für Schönheit, und er hat Sinn für die kreative Kraft eines selbstmächtigen Lebens, das sich zu deuten und zu gestalten weiß. Aber der Eros, den er beschwört, ist am Ende flügellahm, weil er nur dem Bild gilt, das ich mir von mir selbst gemacht habe – meiner eigenen Interpretation des Lebens, die aber immer unter dem Vorbehalt steht, gemessen an der Wahrheit des Lebens womöglich sinnlos zu sein. Und Nietzsche? Nietzsche ist wirklich großartig darin, dass er, wie keiner vor ihm, den männlichen Flügel des Eros seziert hat: Sensationell sind seine Einsichten in dessen dionysische Kraft; großartig ist seine Beschreibung dieses ungeheuren kreativen Potenzials von uns Menschen, unserer Schaffenskraft und unseres Willens zur Macht. Und doch bleibt dies alles nur die halbe Wahrheit, solange der Wille zur Macht nicht durch die demütige Gelassenheit eines sinnlich-liebenden Herzens austariert ist. Nietzsches Drama ist, dass seine Lebenskunst des Schaffens, seine »Artisten-Metaphysik«, unter einer Hypertrophie des »Männlichen« leidet. Man hätte ihm eine Diotima gewünscht, die ihm ans Herz gelegt hätte, dass er gar nicht so viel schaffen und machen und wollen muss: dass auch er – wie jeder Mensch – einfach sein und sich berühren lassen darf. Ganz so, wie er es einmal in einer fast wie ein Fremdkörper in seinem Werk stehenden Passage aus Also sprach Zarathustra beschrieben hat: »Scheue dich!«, heißt es da, »heißer Mittag schläft auf den Fluren. Singe nicht! Still! Die Welt ist vollkommen. Singe nicht, du Gras-Geflügel, oh meine Seele! Flüstere nicht einmal! Sieh doch – still! der alte Mittag schläft, er bewegt den Mund: trinkt er nicht eben einen Tropfen Glücks – einen alten braunen Tropfen goldenen Glücks, goldenen Weins? Es huscht über ihn hin, sein Glück lacht. So – lacht ein Gott. Still!« Mmmh, so sieht Empfänglichkeit aus. Ach, hätte Nietzsche doch mehr davon gehabt. Er hätte mehr zu lachen gehabt.
    Ja, dann hätte er sich vielleicht mit Platon ins Leben verliebt; etwas von dieser abgründig-dionysischen Gelassenheit des Sokrates erlebt, für den dieses Leben eine wahrhaft göttliche Tragödie war. Dann hätte er sich vielleicht mit Diotima eingeschifft zu jener großen Lebensreise im Zeichen der Liebe, die sie »die Ausfahrt auf das weite Meer des Schönen« nannte. Und wie anders wäre diese Seefahrt verlaufen als jene, die Nietzsche in seiner Fröhlichen Wissenschaft beschrieb – in dem Abschnitt unmittelbar vor der Rede vom Tode Gottes: »Wir haben das Land verlassen und sind zu Schiff gegangen! Wir haben die Brücke hinter uns, – mehr noch, wir haben das Land hinter uns abgebrochen! Nun, Schifflein! Sieh dich vor! Neben dir liegt der Ozean, es ist wahr, er brüllt nicht immer, und mitunter liegt er da, wie Seide und Gold und Träumerei der Güte. Aber es kommen Stunden, wo du erkennen wirst, dass er unendlich ist und dass es nichts Furchtbareres gibt, als Unendlichkeit. Oh des armen Vogels, der sich frei gefühlt hat und nun an die Wände dieses Käfigs stößt! Wehe, wenn das Land-Heimweh dich befällt, als ob dort mehr Freiheit gewesen wäre, – und es gibt kein ›Land‹ mehr!«
    »Ach, Freund Nietzsche«, stelle ich mir vor, hätte da Diotima zu ihm gesagt und ihn schützend in den Arm genommen, »wo denkst du hin? Das Land ist immer. Und immer waltet ein Göttliches in der Welt. Lerne es sehen, lerne es fühlen! Schau, es war schon in dem anmutigen Antlitz des Mädchens, das du einst liebtest; schau, es war in ihrem Lächeln – so wie es in dem Lächeln all deiner Freunde ist; schau, es ist in deinen Gedanken; es ist in den Werken der Künstler, in deiner geliebten Musik; schau, mein Bruder, es ist auch in den Wellen dieses chaotischen Ozeans, der unter dir rollt und der dich zu verschlingen droht; schau, es ist auch in den Sternen an diesem Himmel; schau, schau, schau mit dem Herzen – schau und lass dich durchdringen von dem Goldglanz dieses Lebens, von der Schönheit dieser Welt. Und dann flüstere dein ›Ja!‹ und ›Da capo‹. Dann vergiss dein Wollen und sei, der du bist – der, den dir das Leben geschenkt hat!«
    Tja, und dann würde sie unserem Nietzsche wie einst dem Sokrates sagen: »Denn erst an diesem Punkt des Lebens, mein lieber Freund, ist, wenn irgendwo, das Leben für den Menschen lebenswert, da er das Schöne selbst betrachtet«, d.h. wo du dir die Schönheit und Bejahbarkeit des Lebens zu Herzen
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