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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin
Autoren: Joan D. Vinge
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    Ich muß tatsächlich betrunken gewesen sein. Mein lieber Mann, hatte ich einen Kater … Ich erwachte stöhnend aus einem Traum, in dem man mir eben einen Schrumpfkopf verpaßte, und ich hätte nicht zu sagen vermocht, ob es sich wirklich um einen Traum gehandelt hatte. Ich brachte mit Mühe mein Gesicht aus den Kissen hoch und versuchte, einen Blick auf die Uhr zu werfen, die auf der Bar neben dem Bett stand … auf die Uhren, da waren nämlich zwei. Komisch, soweit ich mich erinnern konnte, war es letzte Nacht nur eine gewesen. Ohh, letzte Nacht …
    Aber was mich schließlich wach machte, war nicht nur das Klingeln in meinen Ohren: Das Bildschirmtelefon ließ ungefähr zum zehnten Mal die „Starlight Serenade“ ertönen. Als ich mich endlich vage daran erinnerte, wo ich war, kroch ich über zwei schwabbelige Meter Bett zum Telefon am anderen Ende. Ich warf einen Blick auf mein Gesicht, das sich im Bildschirm spiegelte. Daraufhin drückte ich auf BILD AUS, bevor ich die Sprechtaste betätigte. „Hallo?“ meldete ich mich. Es klang wie „Hauo“.
    „Mr. Ring? Sind Sie da? Hier ist die Halle …“ Sie war hübsch, hatte allerdings eine Stimme wie eine Luftschutzsirene.
    Ich meinte, sterben zu müssen, und murmelte irgend etwas.
    Sie machte ein erleichtertes Gesicht. „Da sind Besucher für Sie, Mr. Ring.“
    Verworrene Warnungen stiegen in meinem Kopf auf: „Haben sie eine Uniform an?“ Es ist nett, wenn nach einem verlangt wird, aber nicht von seiten der Regierung der Vereinigten Staaten.
    „Nein, haben sie nicht, Sir.“ Sie zwinkerte mir zu. „Soll ich sie raufschicken?“
    „Äh, nein …“ Ich wartete darauf, daß mein Kopf abfallen würde; kein Glück. „Sagen Sie ihnen, daß ich herunterkomme, bald.“ In ein paar Stunden, früher oder später.
    „In Ordnung. Vielen Dank, Mr. Ring.“ Der Bildschirm wurde leer, der Eindruck von ihrem Lächeln blieb. Ich hätte gern gewußt, was sie in ihrer Freizeit tat. Ich nahm mir vor, sie zu fragen, falls ich lange genug lebte. Ich legte mich wieder auf das mit blauem Satin bezogene Bett und versuchte zu entscheiden, ob ich mich aufrichten oder aufgeben sollte.
    Aufrichten gewann. Ich schob die Füße über die Bettkante auf den Fußboden. Sie kamen in Stapeln von kalten, harten und schlüpfrigen Plättchen nieder. Ich rappelte mich hoch und beugte mich vor …
    „Du meine Güte – nicht schon wieder!“ Der Boden rings um das Bett war knöcheltief bedeckt mit Geld. Vielmehr mit Chips aus dem Spielkasino des Hotels Xanadu, was so ungefähr dasselbe war. Und ich konnte mich an nichts erinnern, was letzte Nacht gewesen war. Das hatten die mir wieder eingebrockt, Ring und dieser Computer – so sturzbesoffen hatten sie mich gemacht, daß ich in ihren Händen wie Pudding war: Michael Yarrow, der Ganztagstrottel. „Warum lasse ich mir das gefallen?“ Ich preßte die Hände gegen den Kopf, denn so eine dumme Frage konnte ich mir selber beantworten. Weil du sie brauchst. Außerdem konnte ich Ring auch keinen Vorwurf machen: Wenn ich volltrunken gewesen war, dann er auch … Aber er hätte natürlich aufpassen müssen und nicht das Kommando an ETHANAC abgeben sollen. „Ihr habt versprochen, mir so etwas nicht noch einmal anzutun, das habt ihr versprochen. Was ist, wenn das nun jemand gemerkt hat …“
    Aber sie hörten mir gar nicht zu. Der Stecker war nicht drin. Wenn ich mich schon anschrie, dann konnte ich das auch ebensogut vor Publikum tun. Nicht, daß sie auf mich gehört hätten. Ich war hier ja schließlich nur der Körper … Ach, spar dir dein Selbstmitleid. Steck den Stecker rein, dann fühlst du dich besser.
    Ich wühlte in den Chips herum, bis ich die Schnur gefunden hatte, die zu ETHANACS brotförmigem Kasten auf dem Fußboden neben dem Bett lief. Ich hob den Stecker auf und steckte ihn mir ins untere Ende der Wirbelsäule. Ich spürte, wie der Strom der Veränderung einsetzte und sich ausbreitete und alle meine Nervenenden in Sterne verwandelte …
    Ich streckte mich und schüttelte den Kopf, bis die atmosphärischen Störungen beseitigt waren und Yarrows nachgerade obszönen Seufzer der Lust beendeten. Zugleich löste sich mit den Störungen auch das Rattennest in seinem Brummschädel auf, wofür ich überaus dankbar war. Obgleich wir für seinen Körper nicht sehr viel tun konnten: Seine blutunterlaufenen Babyblauen starrten mich abwesend aus dem Spiegel des Bildschirms an, halb verdeckt von zerzaustem braunem Haar, und sein Gesicht
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