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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin
Autoren: Joan D. Vinge
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erschauerte, als er sich zärtlich an ihren Hals schmiegte. Ihr Gesicht war kalkfarben, erstarrt zu einer Maske, die zu spröde war, um unter Tränen zu schmelzen. Sie verließ Silber, der sich verloren und allein auf dem schaumgepolsterten Sitz wand. „Etaa …? Willst du nicht mein S’elec’eca teilen?“
    Mit einer Stimme wie aus Glas sagte sie: „Ich könnte Silber nicht mitnehmen, Tarn. Ich liebe sie, wirklich – aber wie könnte ich sie lehren, das zu sein, wozu sie bestimmt ist? Und mein Volk würde sie nicht verstehen. Es wäre nicht gut. Ich werde versuchen … versuchen, ihnen dabei zu helfen, für meinen Sohn bereit zu sein. Und eines Tages vielleicht auch für Silber. Wirst du sie dann zu mir bringen?“
    „Das werde ich“, sagte ich und wollte noch viel mehr sagen. Tränen wie Leim krochen mein Gesicht hinab.
    „Wirst du immer bei ihm und bei Silber bleiben?“
    „Ja, immer … und nie werde ich ihn dich vergessen lassen.“ Ich senkte zögernd den Blick. „Etaa, du wirst weitere Kinder haben. Und es wird nicht wieder acht Jahre dauern. Wir haben Möglichkeiten, dir zu helfen, wenn du willst.“
    Ihr Mund wurde hart vor zorniger Abwehr; doch dann, weicher, beugte sie den Kopf, um Alfilere zu küssen, und sagte ganz schwach: „Ich möchte schon … Tarn, ich sollte auch dich hassen für all das, was du getan hast. Ich hasse dich aber nicht. Ich kann nicht. Leb wohl, Tarn, gib acht auf unsere Kinder!“ Sie kniete nieder und strich mir über die scheckige Haut, während ich sie mit den seufzenden Händen des Windes liebkoste, den einzigen Händen, die ich hatte.
    Etaa verließ die Kabine, und Iyohangziglepi kam, um Silber aufzunehmen, der zu weinen anfing, weil ein Fremder ihn auf dem Arm hielt. Zusammen beobachteten wir auf dem Bildschirm, wie Etaa Alfilere den wartenden Gottheiten präsentierte und die kleine Ansprache hielt, die wir der besseren Wirkung wegen vorher geprobt hatten. Sie brachte sie fehlerlos hervor und stand da, schmal und aufrecht wie eine stählerne Gerte, und wenn auf ihrem Gesicht Zeichen ihrer inneren Agonie standen, so konnte ich sie nicht sehen. Aber Erzbischof Shappistre stand in der Nähe, immer noch geduldet durch die Gnade der Götter, und sah zu mir mit einem Ausdruck, der mich überraschte und beunruhigte. Und dann, nachdem eine der Göttinnen Alfilere entgegengenommen hatte, drehte Etaa sich ihm zu, zeigte mit dem Finger auf ihn und bezichtigte ihn in ihrer Zeichensprache des Verrats im Namen Alfilere des Dritten und seines Vaters, Meron des Vierten. Der Erzbischof erbleichte, und die Götter wechselten Blicke untereinander. Dann gab einer von ihnen ein Zeichen, und Wachen erschienen, um König Merons Verräter wegzuführen. Flüchtig, wie für jemanden jenseits aller Wahrnehmung, sah ich Etaa lächeln.
    Doch schon suchte sie in der Menschenmenge, und ich bemerkte, wie diese sich vor einem hochgewachsenen, dunklen Mann in kotaanischer Tracht teilte, dem Krieger, der als der Schmied bekannt war – Etaas Gemahl. Eine frische Narbe zeichnete seine Wange oberhalb des Bartansatzes, und er ging noch mit dem leichten Hinken, das von seinem schrecklichen Sturz zeugte. Er blieb hart vor der Menge stehen, auf der anderen Seite des freien Platzes, und sein grimmiges, bebrilltes, junges Gesicht verzog sich plötzlich zu einem Ausdruck der Ungewißheit und des Verlangens.
    Etaa stand da, ihn quer über den Platz ansehend, eine bizarre Gestalt in einer wehenden, staubigen Jacke, ihr Gesicht ein Spiegel des seinen. Zwei Fremde, die Priesterin der Mutter, die ihre Stimme gefunden und ihren Glauben verloren hatte, und der friedfertige Schmied, der Köpfe rollen ließ; fremd einer dem anderen und fremd sich selbst. Und beide hatten sie ihren kostbarsten Besitz verloren, den dieses verkrüppelte Volk kannte, ein neues Leben, um das alte zu ersetzen.
    Und dann plötzlich rannte Etaa, ihr dunkles Haar loderte hinter ihr auf. Er fand sie, und sie klammerten sich aneinander, so verloren in sich, daß zwei in eins verschmolzen, als ob nichts sie jemals wieder trennen könnte.

 
Nachwort
     
     
     
    Eine Reihe von jungen weiblichen Autoren sind in den letzten Jahren zur Science Fiction gestoßen. Joan D. Vinge dürfte (neben Vonda N. McIntyre und vielleicht noch Marta Randall, die in letzter Zeit von sich reden macht) die erfolgreichste Vertreterin dieser Gruppe sein. Ihre Kurzgeschichte „Eyes of Amber“ gewann 1978 den HUGO, und ihr Roman The Snow Queen gewann diesen Preis für
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