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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin
Autoren: Joan D. Vinge
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geballte Faust. „Ich will nicht! Glaubst du, wir wären schlimmer als Tiere, daß du uns unsere Kinder wegnehmen kannst, ohne daß es uns etwas ausmachen würde?“ Ihre Stimme brach. „Tarn, acht Jahre lang haben wir auf dieses Kind gewartet – acht Jahre. Wie kommst du darauf, daß wir es hergeben könnten?“ Sie blickte auf mich herunter, ihre Augen änderten sich. „Doch ich vergesse wohl – du bist ja kein Mensch.“ Zum ersten Mal sprach sie das wie eine Beleidigung aus.
    Und plötzlich besann ich mich darauf, daß ich es wirklich nicht war, daß wir noch immer zwei gänzlich verschiedene Wesen waren, die niemals ihre gegenseitigen Bedürfnisse kennen oder ihre Träume teilen würden; und niemals würde es eine Antwort geben, die für unsere beiden Völker richtig wäre. „Ich wußte nicht, was ich von dir verlangt habe, Etaa. Es tut mir leid, ich …“
    „Würdest du dein Kind hergeben, Tarn?“
    Aus meinem Augenwinkel sah ich Silber; ich sah winzige Schein-Hände Etaas Menschen-Hand erforschen. Ich zwang mich, Etaa in die Augen zu blicken. „Dafür würde ich mein Kind geben, Etaa. Selbst wenn es das einzige Kind wäre, das ich jemals zur Welt bringen kann. Wenn es die Zukunft für mein Volk bedeutet, würde ich es tun. Und es kann die Zukunft für unsere beiden Völker sein.“
    Kalt sagte sie: „Würdest du mir Silber geben, Tarn, wenn ich dir meinen Sohn gäbe? Um ihn an seiner Stelle aufzuziehen?“
    „Ja … ja!“ Aufgeregt versuchte ich mir vorzustellen, welche Gefühle mein Gleiter-Gesicht widerspiegelte. „Etaa, wenn du nur wüßtest, wie groß diese Ehre für mich ist, wieviel es bedeutet, ein Kind mit dir zu teilen. Wenn du wüßtest, wie sehr ich mir gewünscht habe, daß du mein Kind ebenso liebst, wie ich deines liebe – mehr könnte ich nicht verlangen; mit dir zu teilen und unser Leben zu verbinden.“
    Verzweifelt forschte sie in meinen Augen, während sie die Kinder, und mit ihnen die Zukunft, an der Hand hielt. Schließlich blickte sie hinab in zwei kleine Blütengesichter, die von ihrem Schoß aufschauten, und fragte: „Würdest du ihm beibringen, seine Stimme zu gebrauchen?“
    „Und zu schreiben und zu lesen und Handzeichen auch. Und Achtung vor allem Leben und andere Menschen zu lehren, es ebenso zu machen. Er ist ein gutes, schönes Baby, Etaa, laß ihn ein großer Mann werden. Laß ihn alles sein, was er sein kann. Er könnte deine Welt retten.“
    Ziellos schüttelte sie den Kopf, und kein Silberklang antwortete, um sie zu trösten. „Ist das wahr? Ist das der einzige Weg, um zu helfen? Wird er jedem auf der Welt helfen?“
    „Wenn du willst, daß die Menschen bei ihrer eigenen Zukunft noch ein Wort mitzureden haben, dann ist es der einzige Weg, Etaa. Wenn ihr euch vor unseren Eingriffen retten wollt.“ Die Erkenntnis, daß ich von allen derjenige war, der sich am meisten in fremde Angelegenheiten einmischte, zerriß mich, ich schob nicht das Schicksal unbekannter Fremder herum, sondern riß das Leben eines Menschen auseinander, den ich kannte und liebte, der soviel erlitten hatte – eines Traumes wegen, der sich vielleicht niemals erfüllen würde. Und was wäre, wenn ich unrecht hatte? „Etaa …“
    „Es ist gut“, sagte sie leise, nicht einmal zuhörend. „Dann muß es sein, wenn wir eine Zukunft haben sollen. Wenn du meinen Sohn lieben wirst, wenn mein Sohn alles sein wird, was er sein kann; wenn die Weites auch kann, dann … Ich werde mein Kind mit dir teilen.“
    Die letzten Worte fielen ins Nichts. Sie aber sah auf, und einen Augenblick lang war ihre Stimme stark und sicher. „Es gibt niemanden sonst, für den ich das tun würde, Tarn. Nur für dich. Laß mich nichts falsch machen.“
    Ich hielt meine unmenschliche Gestalt in der Fähre versteckt, als wir nach Tramaine zurückkamen, in die Stadt bei Schloß Barys, wo alles angefangen hatte. Etaa erhob sich von ihrem Platz, als die Luke sich öffnete; auf der anderen Seite, im Halbdunkel des frühherbstlichen Nachmittags, konnte ich die Versammlung der prachtvollen, künstlichen Götter sehen – und Göttinnen, unsere „Manifestation“ des guten Willens der Mutter, diese neue Vereinigung der Glaubenslehren zu akzeptieren. Hinter ihnen drängten sich die Vertreter der Menschen, und irgendwo unter ihnen stand ein dunkelhaariger Krieger, der nur seine Frau wiederhaben wollte. Ein letztes Mal nahm Etaa Alfilere, in ein königliches Gewand gehüllt, auf und umarmte ihn, und ich sah, wie sie
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