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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin
Autoren: Joan D. Vinge
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hatte die Farbe von Hafermehl. Ich sah weg, schnitt eine Grimasse, und dann spürte ich, wie Yarrows Empörung über seinen Betrug wieder durch meine Kontrolle hochkam. Ich hasse solche Morgen, an denen ich offenbar außerstande bin aufzuwachen … Verdammt noch mal, behandelt man so den Körper, der einen herumschleppen muß? … SEI KEIN SPIELVERDERBER, MICHAEL, mischte sich sogar ETHANAC ein, aufgekratzt von seinem Triumph an den Spieltischen, HIN UND WIEDER SOLLTEST DU DAS LEBEN GENIESSEN … Das Leben genießen? Einem erst das Gehirn vollständig ausschalten und sich das dann zunutze machen, ist nicht gerade das, was ich unter Genuß verstehe … SCHON GUT, ICH WEISS, ZEHN ODER ZWÖLF DRINKS WAREN NÖTIG, UM DEINE HEMMUNGEN ZU BESEITIGEN. ABER HAT ES SICH DENN NICHT GELOHNT?
    Ich sah auf den Haufen Chips mir zu Füßen nieder und fühlte, wie Schadenfreude über die gestrige Spielorgie in mir aufstieg. Ich runzelte angewidert die Stirn und ließ Yarrow fortfahren, sich für uns beide zu beschweren. Zu versuchen, die Bank zu sprengen, auf neutralem Boden! Wo jeder es hätte sehen können! Wer mich verraten hätte, wäre inzwischen um eine halbe Million Dollar reicher! Mein Gott, ich meine, wer zum Teufel wartet denn jetzt da unten auf uns? … STÜRZ DICH NICHT IN UNNÖTIGE SORGEN. WENN HEW WÜSSTE, DASS DU HIER BIST, WÜRDE MAN EINFACH DIE TÜR EINTRETEN UND DICH WEGSCHLEPPEN …
    Warum streite ich mich mit mir? drängte ich mich wieder vor und schloß uns zu einem Ganzen zusammen, um die ärgerliche schizophrene Unterhaltung zu beenden. Mich vorbeugend, zog ich die Vorhänge auf und ließ etwas Tageslicht ins Zimmer. Es bewölkte sich, genau wie vorhergesagt: Heute war der Tag des Regens. Ich warf einen scheelen Blick zu dem ziegelroten Marshimmel hinauf, den bedrückende, schlammfarbige Wolken sprenkelten, und entschied, wenn HEW mich jemals schnappen sollte, dann hätte ich das nur mir allein vorzuwerfen … mir, ich persönlich, ich. Wir sind nicht erfreut. Yarrows Hand nahm zuvorkommend ETHANACS Kasten auf: Ich wankte zum Badezimmer, um mich für menschliche Gesellschaft zurechtzumachen.
    „In Xanadu“ – laut Samuel Taylor Coleridge – „verfügte Kublai Khan einen staatlichen Vergnügungstempel, wo Alph, der heilige Fluß, durch für Menschen unermeßliche Höhlen in eine sonnenlose See strömte.“ Das Original mag lediglich in Coleridges Opiumträumen existiert haben, hier auf dem Mars jedoch war der Traum Wirklichkeit geworden dank der unbegrenzten Finanzmittel und des unmäßigen Selbstbewußtseins von Khorram Kabir. Welche schrecklichen Geheimnisse hatten Kublai Khan und Khorram Kabir miteinander gemein? Zunächst einmal die Initialen … Aber Kabir wollte die Gemeinsamkeiten damit nicht enden lassen. Als exzentrischer Herrscher über ein multinationales, milliardenschweres Finanzimperium war er, das konnte man ohne Übertreibung sagen, zum Kaiser befähigt. Doch er wollte sein eigenes Xanadu haben; und wie ein wahrer Mogul des 21. Jahrhunderts schuf er eins – und stellte sicher, daß es sich bezahlt machte.
    Folglich das Xanadu, der Vergnügungstempel extraordinaire: Luxushotel, Zufluchtsstätte, Bad – und Spielkasino. Mein altes Ich war nie ein Spieler gewesen, weil ich einfach schlau genug war zu erkennen, auf welchem Gebiet ich wirklich eine Niete war. Mein neues Ich, das hatte ich gerade entdeckt, war schlauer, als mir guttat. Ich hatte tatsächlich geglaubt – und vielleicht stimmte es sogar –, ich sei nur hergekommen, um den Regen zu beobachten. Ich war schon beinahe ein Erdenjahr auf dem Mars, aber wegen meines eigenartigen Status hatte ich noch nie den Mut aufgebracht, den Touristengürtel zu besuchen. Der wahre Grund, weshalb ich eigentlich auf dem Mars gelandet war, bestand in dem schlichten Wunsch, mehr von der Welt zu sehen – von jeder Welt. Und ein ganzes Jahr lang hatte ich mir die begeisterten Berichte angehört, wie meine verschiedenen Kumpel in der Softwarewartung ihren Kredit bei einer prächtigen Orgie im Xanadu auf null reduziert hatten. Und schließlich hatte ich es nicht mehr aushalten können …
    Doch jetzt, als ich in der Halle aus der Liftblase trat, versuchte mein gesunder Menschenverstand mir einzureden, daß ich meine Ferien abbrechen, das Geld einstecken und mich unauffällig in die arabischen Territorien davonstehlen sollte. Nur, jemand wollte mich sprechen. Ich kannte hier keinen Menschen, der aus irgendeinem ersichtlichen Grund den Wunsch haben könnte,
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