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Das Kind der Priesterin

Das Kind der Priesterin

Titel: Das Kind der Priesterin
Autoren: Joan D. Vinge
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mit mir zu sprechen; und trotzdem kribbelte meine Neugier wie die einer Katze. Mein Leben lang hatte ich geglaubt, eines Tages würde ein Fremder in einer Cafeteria auf mich zutreten und mir eröffnen, ich sei ein lange verloren geglaubter Erbe, oder mich in einer U-Bahnstation stellen und mir mitteilen, ich hätte in der Lotterie gewonnen. Oder im Hotel Xanadu und mich für verhaftet erklären …?
    Trotzdem ging ich quer durch die überfüllte Halle zum Informationsschalter. Der Fußboden der Halle, die gut hundertfünfzig Meter lang ist, besteht aus einem handverlegten Mosaik. Von der Rezeption aus ziehen sich Szenen altorientalischen Glanzes darüber hin; es fiel mir nicht ganz leicht, auf die Gesichter der Leute zu treten. Aber schließlich war es vermutlich genau das, worum es im ursprünglichen Xanadu gegangen war. Hinter mir, im Fahrstuhlschacht, trugen schwebende Kugeln aus farbigem Glas die Gäste von einer Etage zur anderen durch eine dazu passende Kaskade aus goldenem Wasser hindurch (wobei Wasser auf dem Mars wertvoller war als Gold): Alph, der heilige Fluß, wie er sanft in die sonnenlose See rauschte – tief unten in den Eishöhlen, auf der Kasinoetage des Xanadu.
    Einer der jungen Stutzer am Informationsschalter kam auf mich zu, ein gelangweiltes Gesicht aufsetzend, an seinem Samtbolero zupfend. „Kann ich Ihnen helfen, Sir?“
    „Ethan Ring. Jemand hat nach mir verlangt?“ ich zupfte an meiner knielangen weinroten Samtjacke und gab mir alle Mühe, seine Langeweile durch meine Langeweile aufzuwiegen.
    „Ich sehe einmal nach, Sir.“ Kein Wettstreit. Er verschwand, und ich wandte mich um, um einen Blick in die Halle zu werfen, falls jemand nach mir Ausschau hielt. Soweit ich feststellen konnte, war das nicht der Fall. Das Gemurmel der Unterhaltung verwob sich mit der ausgeklügelten Kammermusik von Bach, die von einem in der Ecke des Raumes plazierten Streichquartett dargeboten wurde – geschmackvoll, wenn nicht ganz und gar angemessen. Die meisten der herumflanierenden Gäste waren genauso selbstbewußt farbenprächtig und herausgeputzt wie ich.
    Hinter ihnen gab ein geschwungenes Fenster den Blick auf eine spektakuläre Aussicht frei. Das Xanadu steht auf dem erlesensten Grundstück des ganzen Mars, auf halber Höhe des Olympus Mons. Das Hotel selbst, das sich fünfundzwanzig Stockwerke am Hang hinaufzieht, ist parabolisch-hyperbolisch (eine Form, die Yarrow an das Kerngehäuse eines Apfels erinnerte), so daß man von jeder Etage aus denselben Blick hat – auf die unendlich feinen Abstufungen von Rostbraun und Rot und Orange der Marsebene und auf die Freihafenstadt aus Glas und Metall, die das Elysium umgibt und sich bis an die Steilklippe am Fuße des Vulkans erstreckt.
    „Mr. Ring?“ Der Stutzer war endlich wieder da. „Sind Sie vielleicht derjenige, der letzte Nacht fünfzigtausend Seeyas gewonnen hat?“
    Ich sah ihn an. Fünfzigtausend Internationale Krediteinheiten … mein Gott, das waren fast dreihunderttausend Dollar! „Äh, ja, der bin ich wohl.“ Totale Ungläubigkeit ist ein guter Ersatz für totales Desinteresse, selbst auf Yarrows offenem, beweglichem Gesicht.
    Der Stutzer sah mich mit einem Ausdruck an, der Erstaunen oder Neid sein konnte, der endlich aber nichts mit Langeweile zu tun hatte. „Oh. Ihr … äh, Ihr Besuch wartet in der Peacock Lounge, Sir.“
    „Danke.“ Meine Besucher freundeten sich demnach mit dem Kater an, der mich gekratzt hatte, während sie auf mich warteten. Ich ging quer durch die Halle zur Lounge. Ich blieb im Eingang stehen, ließ den Blick über die Nachmittagskundschaft schweifen und hatte keine Ahnung, nach wem ich eigentlich Ausschau hielt. Aber dann sah ich sie. Sie saß allein in einer Nische nahe dem Panoramafenster und lächelte mir zu, und ich wußte, wenn es nicht sie war, nach der ich suchte, dann konnte, wer immer mein Besucher war, sich zum Teufel scheren.
    Ich ging die eine Stufe hinunter, vorbei an dem verschnörkelten Geländer, und machte mich auf den Weg über den leuchtendblauen Perserteppich – alles mit gesteigertem Bewußtsein wahrnehmend, als wäre dies der erste und zugleich letzte Augenblick meines Lebens. Doch vor allem sah ich sie: die Kaskade von rabenschwarzem Haar, das ihr wie ein Abendmantel über die Schultern hing; die dunklen, schelmischen Augen; das seegrüne Kleid, das die eine Schulter entblößte und die andere wie eine Woge drapierte, die hinter sich vom Handgelenk bis zum Saum einen schäumenden
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