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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt
Autoren: Ludwig Laher
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lustige, angenehme und weniger angenehme. Was der Zehnjährige im Moment des Abdrückens gedacht und gefühlt haben mochte, als er, sichtlich von der Sonne geblendet, angestrengt in die Kamera blinzelte, den neuen Fußball unterm Arm, Philipp versuchte, es in Worte zu fassen, während Monika auf Nachfrage ziellos in sich herumstocherte und nur langsam und undeutlich einzelne verstörende Erinnerungsfetzen an die Oberfläche förderte.
    Die Nachricht vom Ableben der Großmutter nach langer Krankheit machte sie traurig und aggressiv zugleich. Sie war müde, wollte zurück in das bescheidene Hotel, in dem sie Quartier genommen hatten, aber Philipp meinte, es wäre zweckmäßig, noch kurz beim Vater vorbeizuschauen und für den nächsten Tag ihren Besuch anzukündigen, immerhin waren sie viele hundert Kilometer gefahren und sollten sich vorsehen, nicht mit leeren Händen den Rückweg antreten zu müssen.
    Monika war strikt dagegen und nicht bereit, auch nur einen Finger zu rühren, um ihn zu finden. Trotzig blieb sie im Auto sitzen und überließ es ihm, der weder Slowakisch noch Romanes sprach, sich mit Händen und Füßen durchzufragen. Es war stockdunkel, eine Straßenbeleuchtung gab es nicht, und endlich rumpelten sie auf der wie früher unbefestigten Piste einer Hütte entgegen, vor der trotz der kühlen Temperaturen mehrere Männer saßen und im Schein einer Petroleumlampe Karten spielten. Ich bleibe jetzt hier stehen, bis du schwarz wirst, zischte Philipp, reiß dich bitte zusammen und tu was.
    Sie weigerte sich weiter auszusteigen, aber sie öffnete das Seitenfenster halb, nannte ohne Gruß ihren Namen und fragte kurz und bündig: Wer von euch ist mein Vater? Da stand einer auf und trat ungläubig näher. Du hast meine Mama auf dem Gewissen, schnauzte sie ihn an, dann sagte sie nichts mehr. Es war eine groteske Situation. Der völlig verdutzte Vater überhörte den Anwurf und versuchte es mit der unverfänglichen Frage, woher sie so plötzlich komme. Alle Hebel habe er in Bewegung gesetzt, um seine Kinder zu finden, sagte er leise, als er keine Antwort erhielt, und Monika gab eiskalt zurück: Das glaube ich dir nicht.
    Mittlerweile war eine rundliche Frau aus der Hütte getreten, gefolgt von einigen Halbwüchsigen. Monika erkannte sofort, es war dieselbe, zu der er nach der Trennung von der Mutter gezogen war und die sie nie leiden konnte. Und diese fünf Jugendlichen, die jetzt neugierig den Wagen umstanden, dürften demnach wohl ihre Halbgeschwister sein. Natürlich lag sowas auf der Hand, aber die ganze Fahrt hierher war ihr nicht ein einziges Mal der Gedanke gekommen, daß die Welt sich auch im slowakischen Südosten weitergedreht haben würde. Auf mögliche Geschwister hatte sie sich daher überhaupt nicht eingestellt, obwohl die beiden ersten längst auf der Welt waren, als sie selbst noch hier lebte. Sie hatte sie komplett verdrängt. Ein vielleicht sechzehnjähriges Mädchen stützte sich auf die Motorhaube, Monika registrierte eine gewisse Ähnlichkeit, und es ging ihr schlecht damit.
    Kommt doch rein, sagte der Vater. Nein, antwortete Monika bestimmt, wir fahren wieder. Philipp verstand wenig, aber er bemerkte, wie sich alles in ihr dagegen sträubte, den sicheren Raum des Wageninneren zu verlassen. Schreib dir wenigstens seine Adresse auf, riet er ihr auf deutsch, und gib ihm doch zumindest unsere Telefonnummer. Monika gehorchte, und sie wunderte sich, als sie sich zum Abschied sagen hörte, er könne sie besuchen kommen, wenn ihm wirklich etwas liege an ihr, aber ohne die Verwandtschaft.
    Schau, sei vernünftig, du hast vor lauter Finsternis nicht einmal sehen können, wie deine alte Siedlung heutzutage ausschaut, meinte Philipp am nächsten Morgen und schlug ihr einen zweiten Besuch vor. Es ist nicht meine Siedlung, antwortete sie gereizt, trotz ihrer Erschöpfung hatte sie die ganze Nacht kein Auge zugetan. Etwa eine Stunde später passierten sie einen Wegweiser, der sie informierte, daß Bratislava dreihundertsechsundsechzig Kilometer entfernt lag. Wieder redeten sie wenig miteinander, die Spannung der Herfahrt war einer melancholischen Nachdenklichkeit gewichen, und fünfzig Kilometer weiter war Monika endlich eingenickt.
    Seither ist unglaublich viel geschehen, erzählt Monika weiter, und Philipp hat sich großartig verhalten. Sie sitzt, das linke Bein angezogen, in einer bequemen Trainingshose auf dem Ikeastuhl, hält mit beiden Händen den nackten Fuß umfangen, spricht mit Nachdruck.
    Als der
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