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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt
Autoren: Ludwig Laher
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ich jede Nacht merkwürdiges, verstörendes Zeug von ihm: Ich befinde mich in unserer alten Siedlung aus der Kindheit, aber alle Häuser sind bis auf die Grundmauern zerstört. Die Menschen sind zwar da, aber sie sehen mich nicht, hocken auf den Ruinen, haben Masken vor den Gesichtern und stochern mit primitiven Werkzeugen im Schutt herum. Jaroslav ist der einzige ohne Maske, der einzige, den ich erkenne, er trägt einen schwarzen Anzug und umkreist mit langsamen Schritten bedächtig die Szene, beobachtet die Leute in ihrem sinnlosen Tun. Er ist zwar wie ein Großer gekleidet, aber kaum älter als sechs, sieben Jahre, und ich denke mir bestürzt, mein Gott, er ist ein Kind geblieben, denn ich, die ich dem seltsamen Treiben von außen zuschaue, bin erwachsen.
    Behutsam versuchte Philipp, sie dafür zu gewinnen, mit ihm in absehbarer Frist nach Wien zu übersiedeln. Sie sehe doch jeden Tag, wie wenig Zeit sie hätten füreinander. Taxifahren rentiere sich nur in der Großstadt halbwegs, und der lange Weg hin und retour sei nicht nur teuer und eine Tierquälerei, sondern auch gefährlich, wenn er am Morgen todmüde die weite Strecke zurücklegen müsse. Außerdem wolle er nicht in alle Ewigkeit taxeln, die kurzfristig aufgetauchte Überlegung, hier heroben in Mähren ein Wiener Kaffeehaus aufzumachen, habe sich als Schnapsidee herausgestellt, und vernünftige Jobs gebe es in der Großstadt allemal mehr als in den Dörfern im nördlichen Weinviertel. Ihre gemeinsame Zukunft liege nun einmal in Österreich, nicht hier, schon wegen der Löhne, wegen seiner kaum vorhandenen Tschechischkenntnisse und überhaupt.
    Sie antwortete nicht, blickte eine Zeitlang zu Boden, schaute ihm dann lange direkt in die Augen. Um ihr zu beweisen, daß sie davor nicht Angst haben müsse, nein, nicht nur deshalb, es hatte ihn einfach so überkommen, weil er sie so mochte, weil er so stolz war auf die tapfere kleine Frau an seiner Seite, jedenfalls schlug er ihr ansatzlos vor zu heiraten, so schnell es ginge. Natürlich war es verrückt, gerade erst war er mit der Nase darauf gestoßen worden, wie solch ein spontaner Entschluß ausgehen kann. Aber er wiederholte, weil Monika ihn nur ungläubig anstarrte: Komm, lasko , Liebes, laß uns heiraten!
    Buchstäblich jeden Tag hatte ich gefürchtet, er würde genug haben von mir, er brauchte doch eine intelligente, gebildete Frau, die sich für Kunst interessierte, für Politik und was weiß ich, nicht ein völliges Dummerchen wie mich. Kurz vorher waren wir für einen einzigen Abend, eigentlich nur für eine Stunde in der primitiven ostslowakischen Romasiedlung, aus der ich ursprünglich komme, das war auch nicht so toll für ihn, nicht einmal ausgestiegen bin ich. Philipp hat einen ersten Blick auf meine schwierige Verwandtschaft werfen können, das mußte ihn doch alles abschrecken. Aber nein, da saß er mir gegenüber, hielt meine Hände und machte mir einen Heiratsantrag. Es war einfach umwerfend. Und tatsächlich, noch im Mai haben wir geheiratet, und zwei Monate später sind wir hierher gezogen.
    Nach Wien, das war ihr dann doch noch immer zu steil, und man entschied sich nach einigem Hin und Her für eine überschaubare, landschaftlich reizvolle Bezirksstadt, die sich vom Charakter gar nicht so sehr von vergleichbar großen Städten in der Tschechischen Republik unterscheidet: Mittelalterlicher, herausgeputzter Kern, Trabantensiedlungen, Einkaufszentren auf der grünen Wiese. Sogar auf die inzwischen vertrauten Weinhänge brauchte sie nicht verzichten. Trinken tut sie ohnehin keinen Tropfen mehr, sie habe ihre Ration Alkohol fürs ganze Leben bereits konsumiert, scherzt Monika bitter. Und wenn ich mich ausnahmsweise einmal zu einem Achterl überreden lasse, bin ich gleich völlig beschwipst, mein Körper mag das gar nicht.
    Charlie, der gebeutelte Speedhund, ist mittlerweile zur Familie eines Zahnarztes übersiedelt. Sie haben ihn schweren Herzens hergegeben. Seit Monika die Deutschkurse besucht und jetzt auch arbeitet, war er viel zu oft allein. Sie hat ziemlich geheult um ihn, schließlich hatte der Unglückswurm die beiden endgültig zusammengebracht damals. Und mehr als das: Wenn Philipp am Abend zum Taxifahren aufbrechen mußte und sie sich vor der langen Nacht und der Einsamkeit fürchtete, ist Charlie zuverlässig eingesprungen und hat getan, was er konnte.
    In den ersten Monaten nach dem Club, als permanente Unrast und permanente Erschöpfung gleichermaßen an ihr zerrten und sie sich am
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