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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt
Autoren: Ludwig Laher
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heim?
    In den ersten Monaten konnte er damit noch wesentlich schlechter umgehen. Im Ton war sie unangenehm devot und berechnend, in der Sache aber meist umso unzugänglicher, mit keinem noch so treffenden Argument konnte er einen Stich machen. Wollte sie ausreizen, wie sehr er in seiner Liebe zu ihr bereit war, sich zurückzunehmen? Ließ ihre labile psychische Verfassung Niederlagen prinzipiell nicht mehr zu? Geriet sie in Rage, weil sie ihn als Oberlehrer empfand, der heraushängen lassen mußte, für wie zurückgeblieben er sie hielt? Nein, immer nur ja und amen sagen, das war trotz allem keine Basis, war er überzeugt, und dann blitzte und donnerte es eben.
    Die Wolken verzogen sich rasch, denn war der erste Zorn auf beiden Seiten verraucht, überwog schnell wieder das Bewußtsein, voreinander eigentlich den Hut ziehen zu sollen, denn beide investierten, was ihnen zu Gebote stand, in das Experiment Monika und Philipp. Auf seiner Seite war das nicht nur, aber auch Geld, viel Geld. Ab dem Moment, da sie ihm unter die Haut gegangen war, dachte er nicht ein einziges Mal daran, was es kostete. Das heißt, er dachte schon daran, aber es kümmerte ihn nicht. Er bestritt, ohne je das geringste Wort darüber zu verlieren, die gemeinsamen Lebenshaltungskosten, er schloß für Monika die nötigen Versicherungen ab. Als ihm klar wurde, wie sehr sie darunter litt, niemanden auf der Welt zu haben außer ihm, finanzierte er aufwendige Nachforschungen, um ihre verschwundenen Geschwister, die geliebte Großmutter, den verhaßten, unbewältigten Vater und andere Verwandte ausfindig zu machen, um an den verschiedensten Orten Dokumente, Fotos und andere Spuren ihrer Kindheit und Jugend aufzutreiben, um einer vorsätzlich fragmentierten Persönlichkeit behilflich zu sein, sich ein vollständigeres Bild von sich machen zu können. Kreuz und quer fuhr er mit ihr zu diesem Zweck durch die Slowakei und die Tschechische Republik.
    Er mußte ihr all das nicht aufdrängen, denn sie war mit einer Ausnahme selbst begierig, Licht in so manches Dunkel zu bringen, auch wenn sie sich gleichzeitig davor fürchtete. Sie hatte sich bei ihrem Bruder, solange er noch im Heim lebte, aus Scham, auf der Straße gelandet zu sein, nie gemeldet. Sie hatte es verschoben, bis der Bruder wie alles andere, das vor ihrer Abrichtung für das Sexgewerbe lag, nur noch als ferner, unwirklicher Nachhall eines womöglich eingebildeten früheren Lebens ihre Alpträume bevölkerte, bis zum heutigen Tag übrigens.
    Ich werde ihn nächste Woche zum ersten Mal treffen, telefoniert haben wir schon, erzählt Monika strahlend, das Rote Kreuz hat auch ihn endlich gefunden. Aurelia, der größeren Schwester, ist sie bereits begegnet. Nur ein Jahr vor Monika hatte sie genau denselben Leidensweg beschritten. Kristyna und Emil, die der Jüngeren natürlich kein Wort davon erzählten, hatten sie vorübergehend zu und das Sparbuch der Mutter an sich genommen. Dann wurde sie an einen Zuhälter verkauft, im großen und ganzen ist es ihr jahrelang ähnlich schlimm ergangen wie Monika, nur gewehrt hat sie sich weniger. Seit einiger Zeit lebt sie nun mit ihrem Kind in einem westböhmischen Frauenhaus, konkrete Zukunftspläne hat sie keine, denn es fehlen ihr sowohl Berufsausbildung als auch Kraft, um neu durchzustarten, vor allem aber jemand wie Philipp. Von ihrer ursprünglichen Schwerfälligkeit ist, soweit Monika das feststellen konnte, kaum etwas zurückgeblieben, seelisch aber geht es ihr nicht besonders. Das Hauptgesprächsthema der Schwestern war denn auch die Mutter und was ihr Tod für die Mädchen bedeutete. Trotzdem, es blieb eine Distanz, die schon in der Kindheit da war.
    Mit Jaroslav ist das anders, Monika fiebert dem Wiedersehen entgegen. Er hat eine Frau und einen kleinen Sohn, lebt in Brünn. Vom Brotberuf Maurer, hat er später eine Ausbildung zum Sozialpädagogen gemacht, aber sein Herz, sagt er, gehört der Malerei. Mein kleiner, stiller Bruder malt Bilder, unglaublich ist das. Ob er sich überhaupt daran erinnern kann, daß auch die Mutter so gern gemalt hat? Monika schüttelt vor Verwunderung den Kopf, dämpft den Zigarettenstummel aus, zündet sich eine neue an. Höchstens noch eine Packung am Tag, fährt sie fort und bläst den Rauch aus der Lunge, es klingt, als wollte sie sich vor sich selbst entschuldigen. Wenn ich so aufgewühlt bin wie jetzt, komme ich damit natürlich nie und nimmer aus.
    Komisch, seit ich Jaroslavs Stimme am Telefon gehört habe, träume
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