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Und nehmen was kommt

Und nehmen was kommt

Titel: Und nehmen was kommt
Autoren: Ludwig Laher
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ein ganz kleines Baby. Welpe heißt das auf deutsch, brummt Philipp. Und? Der Arsch gibt ihm jeden Tag Speed, kannst du dir das vorstellen, einem Baby, immer hängt ihm die Zunge heraus, und es schnauft so fest. Hecheln heißt das auf deutsch, der Hund hechelt. Und gehen tut er so und so. Sie beschreibt mit dem Arm ein paar Kurven. Wie nach dem Schiff. Philipp setzt den Sprachkurs mürrisch fort: Der Hund schwankt, als ob er seekrank wäre.
    Überall sei das arme Tier eine sichere Lachnummer, erzählt Monika empört weiter, auch weil es ausschaue wie aus einem Zeichentrickfilm, lustig, aber furchtbar häßlich. Ich hab mir gedacht, wenn wir zusammenziehen, kaufen wir das Baby frei, hm? Philipp antwortet nicht und schaut ihr lange entgeistert in die Augen. Er spürt förmlich, wie seine Aggressionen implodieren, Platz schaffen für eine Rührung, gegen die er sich vergeblich zu erwehren trachtet. Einen häßlichen Welpen auf Speed will sie freikaufen, ausgerechnet sie, wer sonst als sie.
    Der Hund besiegelt ihr Schicksal. Die drei werden es miteinander versuchen. Philipp kommt Monika tatsächlich entgegen, bis in die Tschechische Republik. Zwanzig Euro hat Veras Freund bezahlt für Charlie, weiß Monika, jetzt verlangt der Arsch grinsend zweihundert für die scharz-weiß gefleckte Mischung aus Boxer und Mops oder so. Sie verwendet dafür das Geld aus der italienischen Brieftasche, um es reinzuwaschen, denn sie will in Zukunft auch ganz ohne Zappzarapp auskommen.

V
    Länger als ein Jahr habe es gebraucht, erzählt Monika, bis sie die erste Nacht durchschlafen konnte. Und länger als ein Jahr habe es auch gebraucht, bis sie im Wachzustand halbwegs sicher sein konnte, auf noch so geringe Abweichungen vom soundso ungewohnten neuen Alltag nicht mit unverhältnismäßigen Angstattacken zu reagieren. Die würden sich heute Gott sei Dank in der Regel auf tatsächlich außergewöhnliche, aufwühlende Ereignisse beschränken, aber zuweilen genügen zum Beispiel schon Lächerlichkeiten wie eine baustellenbedingte Streckenunterbrechung der vertrauten Zugverbindung nach Wien, um sie an den Rand einer Panik zu bringen. Vor kurzem erst habe sie entnervt kehrtgemacht, als ihr vom freundlichen Schalterbeamten beim Kartenkauf mitgeteilt worden sei, sie habe sich auf Schienenersatzverkehr mittels Bussen zwischen zwei ihr unbekannten Bahnhöfen einzustellen. Ich hätte wahrscheinlich nur den anderen Reisenden nachgehen müssen, es wäre vermutlich keine große Affäre gewesen, aber allein bei dem Gedanken, Neuland zu betreten, ist mir der kalte Schweiß ausgebrochen. Daß es sowas gibt.
    Sie legt die Zigarette ab und gießt sich grünen Tee nach. Für einen späten Oktobertag ist es unnatürlich warm, das Küchenfenster steht offen, es gibt den Blick frei auf einen von Hausmauern umfriedeten hellen und stillen Hinterhof. Eine Wespe schaut vorbei, dreht geräuschvoll eine Runde durch den Raum, macht bei den Trauben in der Obstschüssel aus blauem Glas Station, verschwindet wieder. Das geschmackvoll und dezent renovierte einstöckige Gebäude aus dem sechzehnten Jahrhundert liegt am Ostrand der Altstadt, unmittelbar an einem bestens erhaltenen Stadttor. Gleich hinter den niedrigen Dächern dieses heimeligen, von den Touristen meist übersehenen Viertels steigen gegenüber die ersten Weinberge an, schroff zuerst, dann sanfter. Von hier ist es ungefähr gleich weit bis nach Wien und bis an die Grenze, wo wir vorher wohnten, fängt Monika wieder zu reden an, ein Kompromiß eben.
    Sechs Monate lebten Philipp und sie in einem gemieteten Häuschen vielleicht zwei Kilometer vom Incognito . Mit wahrer Engelsgeduld setzte er eine vertrauensbildende Maßnahme nach der anderen, und sie dankte es ihm, indem sie ganz ohne Rückfälle auskam, auch wenn ihr zuweilen die Decke auf den Kopf zu stürzen drohte. Sie hätte alle Möglichkeiten der Welt gehabt, schwach zu werden, denn schon nach einigen Wochen entschloß er sich, Geld verdienen zu gehen, um nicht tatenlos zuzuwarten, bis das elterliche Erbteil völlig aufgezehrt sein würde. Fünfmal in der Woche fuhr er am frühen Abend eineinhalb Stunden nach Wien, saß die ganze Nacht im Taxi, trat den Rückweg an und schlief bis Mittag.
    Schlafen am Tag, und das in den unterschiedlichsten Intensitätsgraden, gehörte damals übrigens zu beider Hauptbeschäftigungen. Monikas Körper wollte nichts als Ruhe und Entgiftung, nach fünf Jahren Mangelernährung, künstlicher Amphetaminhochspannung und
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