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Romanzo criminale

Romanzo criminale

Titel: Romanzo criminale
Autoren: Giancarlo de Cataldo
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Prolog
Rom, heute
    Er kauerte zwischen zwei geparkten Autos und wartete, die Hände schützend vor das Gesicht gelegt, auf den nächsten Schlag. Sie waren zu viert. Der Kleinste, mit einer Narbe quer über die Wange, die von einem Messerschnitt stammte, war der Gemeinste. Zwischen den einzelnen Schlägen unterhielt er sich mit seiner Freundin am Handy: ein Live-Bericht. Sie schlugen aufs Geratewohl zu, ohne hinzusehen. Für sie war es einfach Spaß. Er dachte, dass sie seine Söhne hätten sein können. Von dem Schwarzen abgesehen, natürlich. Durchgeknallte Jungs. Er dachte, noch vor ein paar Jahren hätten sie eher Selbstmord begangen, wenn sie seinen Namen gehört hätten, als auf Rache zu warten. Vor ein paar Jahren. In den alten Zeiten. Ein fataler Augenblick der Unaufmerksamkeit, und der genagelte Schuh traf ihn an der Schläfe. Er glitt in die Dunkelheit.
    – Gehen wir, befahl der Kleine, ich glaub, der steht nicht mehr auf.
    Aber er stand doch noch auf. Er stand auf, als es schon finster war, mit stechenden Schmerzen im Brustkorb und völlig durcheinander. In der Nähe befand sich ein Brunnen. Er wusch sich das getrocknete Blut ab und trank einen großen Schluck vom rostig schmeckenden Wasser. Er stand. Er konnte gehen. Autos mit voll aufgedrehter Stereoanlage fuhren über die Straße. Die Jugendlichen, die mit ihren Handys spielten, kümmerten sich nicht um seinen torkelnden Schritt. In den Fenstern das bläuliche Licht von tausend Fernsehern. Noch ein Stück weiter eine beleuchtete Auslage. Er betrachtete sich in der Scheibe: ein gebeugter Mann mit zerrissenem, blutverschmiertem Mantel, spärlichem fettigem Haar, faulen Zähnen. Ein Greis. Das war er geworden: ein Greis. Eine Polizeistreife mit Sirene fuhr vorbei. Instinktiv drückte er sich an die Mauer. Aber niemand suchte ihn mehr.
    – Ich war einer von Libanese!, flüsterte er, ungläubig beinahe, als hätte er sich eben einer fremden Erinnerung bemächtigt.
    Das Geld war weg, aber den Pass und die Fahrkarte hatten die Jungs übersehen. Und sogar die Rolex, die in einer Innentasche eingenäht war. Sie wollten nur Spaß haben, sie hatten sich gar nicht die Mühe gemacht, ihn ordentlich zu durchsuchen. Die würden noch hartes Brot fressen müssen.
    Er hatte noch drei Stunden Zeit bis zum Abflug. Jede Menge Zeit. Das Zigeunerlager war nur einen Kilometer entfernt.
    Der Schwarze bemerkte ihn als Erster. Er ging zu dem Kleinen, der gerade mit dem Mädchen rummachte, und sagte zu ihm, der Alte sei wieder da.
    – Ich dachte, der ist tot.
    – Was weiß ich. Jetzt ist er jedenfalls da.
    Ohne Eile ging er über den Platz, blickte sich mit einem bescheuerten Grinsen um, fast, als wollte er sich für sein Eindringen entschuldigen. Nach einem gedankenverlorenen Blick wandten sich die anderen Jungs wieder ihren Geschäften zu.
    Der Kleine sagte zum Mädchen, sie solle einen Spaziergang machen, und wartete mit verschränkten Armen auf ihn. Flankiert vom Schwarzen und von den anderen beiden: einem Riesen mit pockennarbigem Gesicht und einem kleinen Fetten, der über und über mit Tattoos bedeckt war.
    – Guten Abend, sagte er, ihr habt was, was mir gehört. Ich will es wiederhaben.
    Der Kleine wandte sich zu den anderen.
    – Er hat noch nicht genug!
    Sie lachten. Er schüttelte den Kopf und zog die Waffe.
    Der Schwarze setzte sich in Bewegung. Der Kleine spuckte auf den Boden, überhaupt nicht beeindruckt.
    – Jetzt machen wir einen schönen Ringelreihen. Glaubst du, du machst uns Angst mit dem Spielzeug?
    Er warf einen traurigen Blick auf die kleine Halbautomatische Kaliber 22, die er bei dem Zigeuner gegen die Rolex eingetauscht hatte.
    – Stimmt schon, sie ist winzig, aber wenn man mit ihr umgehen kann ...
    Er schoss, ohne zu zielen und ohne den Blick von dem Kleinen abzuwenden. Der Schwarze ging mit einem Schrei zu Boden, hielt sich das Knie. Plötzlich war es ganz still geworden.
    – Verschwindet!, sagte er ohne sich umzudrehen, alle, mit Ausnahme der vier hier.
    Der Kleine fuchtelte mit den Armen, wie um ihn zu beschwichtigen.
    – Schon gut, schon gut, für alles gibt es eine Lösung ... aber zuerst einmal beruhigen wir uns, ja?
    – Alle auf den Boden, hab ich gesagt, wiederholte er ruhig.
    Der Kleine und die anderen knieten sich hin. Der Schwarze wälzte sich stöhnend auf dem Boden.
    – Das Geld hab ich meinem Mädchen gegeben, wimmerte der Kleine, aber ich ruf sie an, damit sie es dir bringt, ja?
    – Halt’s Maul. Ich denk nach ...
    Wie viel Zeit
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