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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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Säuglingspflege sterben. Wenn diese Mütter uns sagten, es sei doch nicht schlimm, wenn ich nicht nach Hause zurückkehren würde, meine Eltern hätten ja noch drei weitere Kinder, war das für uns ein Schock. Aber aus ihrer Sicht ist dieser Fatalismus verständlich. Für uns dagegen war es schon erschreckend zu riechen, welch verpestete Luft Dumbos Neugeborenes im Winter einatmete. Die Familie wärmte sich am offenen Feuer, das mitten im Raum loderte. Meistens wurden nur getrocknete Kuhfladen, Plastikmüll, alte Kleider und alte Schuhe verbrannt, denn Holz kostet Geld. Natürlich machte sich keiner Gedanken über Emissionen, denn derlei Gedanken sind das Privileg eines Menschen, der sich nicht ums nackte Überleben, sondern um Lebensqualität sorgt. In vielen Dörfern der Paschtunen-Region ist ein Ofenrohr, das den Rauch durch das Dach ins Freie leitet, schon eine technologische Raffinesse.
    Achttausend Kilometer von uns entfernt leben die Frauen noch immer in ihrem Innenhof (falls nicht eine Rakete sie inzwischen getroffen hat). Ich weiß zu jeder Uhrzeit, was sie machen, welche harte körperliche Arbeit sie verrichten, wie sie sich, aus Perspektivlosigkeit, in ihre lebenslange Gefangenschaft fügen.
    Wenn die Frauen mich fragten, ob ich meine Kleider zu Hause auch mit einer Bürste und kaltem Wasser in der Hocke mit schmerzendem Rücken abschrubben würde, dann log ich sie an und sagte: »Ja.« Wenn sie fragten, ob wir auch so selten Strom hätten und dann das Wasser zu Fuß holen müssten, antwortete ich ebenfalls mit einem verlogenen Ja. Ich brachte es nicht übers Herz, ihnen zu sagen: »Ich komme aus einem Land, wo es immer Strom und fließendes Wasser gibt, wo ich nur auf einen Knopf zu drücken brauche und eine Stunde später kommt die Wäsche sauber und nach Weichspüler duftend aus einer Maschine.« Heute fühle ich mich schuldig, weil ich sie belogen habe. Damals dachte ich, ich täte es zu ihrem Schutz. Heute denke ich, dass ich vor allem uns schützen wollte und dass ich mehr für diese Mütter hätte tun können.
    Ich fühle mit diesen Frauen, ich hoffe, sie werden durch dieses Buch ein wenig sichtbarer.
    Wie also hat uns die Entführung verändert? Werden wir nun auf das Reisen verzichten, nur noch nach Sicherheit und einem komfortablen Stillstand streben? Sollen wir uns in eine Gated Community zurückziehen? Sollen wir den Menschen grundsätzlich mit Misstrauen begegnen?
    Dazu sind wir, David und ich, nicht in der Lage. Dazu haben wir zu viele positive Überraschungen erlebt, auf unseren Reisen ebenso wie in unserem Schweizer Alltag. Wir haben nicht nur liebende Eltern und Geschwister, sondern auch zahlreiche Freunde, die uns mit ihrer Zuwendung aufgefangen haben. Vieles hat sich geändert durch die Entführung, aber die Freundschaften sind geblieben. Und Freundschaften lassen sich nur knüpfen, wenn man sich öffnet. Wir werden weiter auf die Menschen zugehen, wir werden neugierig bleiben, auch auf alles Fremde.
    Die Liebe hat uns aufgefangen, hat uns ein neues Zuhause geschaffen. Vielleicht findet man nur bei geliebten und liebenden Menschen wieder zurück zu sich selbst.
    Was am Ende bleibt, ist das Leben – und die Liebe.

 
    DANKSAGUNG
     
     
    Es gibt eine Unzahl von Menschen, denen wir zu danken haben, Menschen, die uns während und nach der Entführung ihre Unterstützung zukommen ließen und lassen. Einige wichtige haben in diesem Buch bereits Erwähnung gefunden, doch auch die vielen Ungenannten seien nicht vergessen.
    Wir hatten den uns nahestehenden Menschen viel Kummer verursacht. Sie haben sich schon in den achteinhalb Monaten unserer Gefangenschaft einer Polemik stellen müssen, von der wir bis dato nichts wussten. Für diesen Kampf, die Freundschaft und Liebe danken wir allen. Sie haben uns nicht nur ihre Fürsorge, sondern auch ein offenes Ohr und Unterschlupf geboten, und vor allem haben sie uns das Vertrauen in uns selbst zurückgegeben.
    Wir danken Davids Mutter Ursina und Danielas Eltern Yvonne und Beat, wir hatten manchmal unsere Bedenken, dass sie uns aufgegeben haben oder wir in Vergessenheit geraten sind. Nach unserer Rückkehr war uns klar, dass sie uns keinen Augenblick haben vergessen können und ihre Herzen von Trauer und Hoffnungslosigkeit überschattet waren, bis zu dem Moment, wo sie uns in die Arme nahmen und wir eintauchen konnten in den vertrauten und so sehr vermissten Geruch.
     
    Aber nicht allein Angehörige und Freunde haben mit uns gelitten, selbst
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