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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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meine Tagebücher. Die vier Bände, die mich die achteinhalb Monate begleitet haben, mein Halt, meine Erinnerung. Und wenn wir doch nicht hineindürfen? Wenn irgendetwas schiefgeht und in der Basis doch keine regulären Truppen, sondern Verräter oder Taliban sitzen? Dann werden wir davonrennen – halbnackt, unbewaffnet und ohne Proviant.
    »Okay, relax!«
    Auf Paschtu erwidern wir, dass wir Freunde sind. Wir versuchen ihm unsere Lage zu erklären, aber wir kennen das Wort für »entführt« nicht.
    »Move«, ruft er.
    Wir gehen wieder ein paar Schritte, lassen uns wieder fallen.
    »Kidnapped«, schreien wir, »Loralai.« Auf Paschtu klauben wir Worte zusammen, erklären, dass wir achteinhalb Monate in einem Taliban-Gefängnis verbracht hätten und weggelaufen seien.
    »Switzerland«, fügen wir noch an.
    »Swasiland?«, fragt er zurück.
    »No, Switzerland.«
    »America?«
    »No. No, Switzerland.«
    Der Scheinwerfer geht wieder aus, es ist, als müsste die kleine Halogenröhre verschnaufen und nachdenken. Auf welche Lösung ist sie gekommen, als sie nach einer unendlich langen Viertelstunde wieder aufflammt?
    »Okay«, schreit der Mann, »only the man.«
    David hebt die Arme und steigt langsam etwa dreißig Meter den Hügel hinauf. Das Scheinwerferlicht ist so stark, dass die Konturen verschwimmen. Nachdem David stehen geblieben ist, schreit der Soldat, ich solle folgen. Als wir an eine Stacheldrahtbarriere, für unsere Begriffe nicht viel mehr als ein Weidedraht, kommen, hallt es durch die Nacht: »Okay, I’m gonna speaking to officer.«
    Wir setzen uns hin und warten. Inzwischen sind zwei Stunden vergangen, seit der Scheinwerfer uns das erste Mal ins Visier genommen hat. Es ist gleich halb fünf, in wenigen Minuten wird es Tag.
    »David, lass uns nach Miranshah gehen«, sage ich. »Der wird uns niemals reinlassen. Eher knallt er uns ab.« Plötzlich spüre ich wieder Energie in meinen Muskeln, die sich gegen das Herumsitzen wehren.
    »Nein«, antwortet David, »hier bringen mich keine zehn Pferde weg. Ich gehe keinen Schritt mehr.«
    Da kommt ein Soldat in Uniform, auf den Armen eine Wolldecke, eine Wasserflasche und zwei Trinkbecher aus Messing. Über den niedrigen Stacheldraht reicht er uns die Sachen und gibt dem schlotternden David ein Zeichen, er solle sich die Decke überwerfen.
    Wir erkennen, dass der junge Mann, wir schätzen ihn auf Mitte zwanzig, die pakistanische schwarze Uniform mit dem roten Saum trägt.
    »Your name?«, fragt er.
    »David and Daniela.«
    »Okay, Dawoud and Daniila.« David ist auch für die Moslems ein Prophet, sie sprechen den Namen nur ein wenig anders aus. Mein Name dagegen ist ihnen fremd.
    Er geht, kommt zwei Minuten später zurück und fragt wieder: »Your name?«
    »David and Daniela.«
    »Ahh, okay, okay, Dawoud and Daniila, hadscha, hadscha!«
    Das geht sicher drei bis vier Mal so. Wir haben den Eindruck, dass der Soldat auf dem Weg zum Kommando jedes Mal unsere Namen vergisst.
    Schließlich kommt er mit drei Männern zurück. Drei reifere Männer mit Hennabärten, die aufs Haar den Taliban-Kämpfern gleichen, mit denen wir es in den achteinhalb Monaten zu tun hatten. Dann erscheinen noch zwei Männer, die sich über ihre Zivilkleider Uniformjacken gezogen haben. Sie wirken, als wären sie gerade aus dem Bett gesprungen. David wird durchsucht, mich kontrolliert man mit einem Metalldetektor. Danach werden wir in genau festgelegter Formation, immer abwechselnd ein Hennabart, dann David, wieder ein Bart, dann ich und zum Abschluss der letzte Bärtige, durch ein Loch in der Stacheldrahtbarriere geschleust. Zehn Minuten später stehen wir in einem Innenhof des Forts, ein Dutzend Gewehrläufe sind auf uns gerichtet, Davids Hände sind auf den Rücken gefesselt. Seit unserer Flucht aus dem Zimmer sind fast fünf Stunden vergangen. Fünf Stunden für anderthalb Kilometer Fußmarsch.
    Aber wir haben es geschafft.
    Auf dem Flug nach Peshawar sehe ich aus dem Hubschrauber, während David sich mit einem nach Alkohol riechenden Colonel darüber unterhält, wie uns die Entführer behandelt haben, über unsere Flucht und die politische Lage Pakistans spricht. Unter uns nur Wildnis, kein elektrisches Licht, keine Behausungen, keine Anzeichen von Zivilisation. Ich spüre ein berauschendes Glücksgefühl und gleichzeitig Dankbarkeit dafür, dass wir nicht die FATA zu Fuß haben durchqueren müssen, in der Hoffnung, es bis in eine von der Armee kontrollierte Region zu schaffen. Ich kneife
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