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Ausradiert: Thriller (German Edition)

Ausradiert: Thriller (German Edition)

Titel: Ausradiert: Thriller (German Edition)
Autoren: Peter Abrahams
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Teil 1
    Verlorenes Wochenende
    1
    N ick Petrov wartete im Zeugenstand auf die nächste Frage. Der Verteidiger sah von seinen Notizen auf und richtete seinen – Millionen von Talkshow-Zuschauern bestens bekannten – skeptischen Blick auf Petrovs Gesicht. Die Augenbrauen des Verteidigers glichen denen Einsteins, er ähnelte ihm überhaupt, fand Petrov, nur hatte er einen besseren Haarschnitt. Das Parfüm der vorherigen Zeugin hing noch in der Luft.
    »Tolle Karriere«, sagte der Verteidiger. »Nicht wahr, Mr. Petrov? Bisher.«
    Einen besseren Haarschnitt und einen mieseren Charakter. »Dazu kann ich nichts sagen«, erwiderte Petrov. Er befand sich jetzt seit achtundzwanzig Minuten im Zeugenstand, lange genug, um zu dem Schluss gelangt zu sein, dass nur eine der Geschworenen Anlass zur Sorge bot – eine Frau mittleren Alters in der hinteren Reihe, mit einer Schmetterlingsbrosche am Revers. Die übrigen elf Mienen sagten schuldig, wenigstens ihm; aber auf dem Gesicht dieser Frau, weich, hübsch, ungeschminkt, stand in Großbuchstaben BARMHERZIGKEIT. Der Angeklagte Ty Canning, der gerade seine Brille mit dem Ende seiner Krawatte polierte, hatte keine gezeigt.
    »Aber Sie denken es«, sagte der Verteidiger. »Sie halten sich für das schärfste Werkzeug im Schuppen.«
    »Ist das eine Frage?«, erkundigte sich Petrov.
    »Aber sicher«, sagte der Verteidiger.
    »Muss ich darauf antworten, Euer Ehren?«
    »Der Zeuge wird die Frage beantworten«, wies die Richterin an.
    »Ich bin eher so etwas wie ein Laubbläser«, sagte Petrov.
    Einige Leute lachten, aber nicht die Schmetterlingsfrau.
    »Finden Sie das komisch?«, fragte der Verteidiger. Petrov schwieg, und der Verteidiger, vielleicht ein wenig aus dem Konzept geraten, verlangte keine Antwort. Er blätterte verärgert in seinen Notizen. Petrov, der gewohnheitsmäßig auf Kleinigkeiten achtete, bemerkte, dass seine Augen sich nicht bewegten, was bedeutete, dass er nicht las. Handelte es sich um eine theatralische Pause, oder hatte er den Faden verloren? »Euer Ehren«, bat der Verteidiger, »ich möchte, dass die Jury die letzte Frage und Antwort noch einmal hört.« Er hatte den Faden verloren; der selbstbewusste, aber unbegabtere jüngere Bruder, der niemals geboren worden war, um die Einstein’sche Familiendynamik zu stören. Petrov wartete auf eine Blöße.
    »Frage«, rief der Gerichtsstenograph. »Was sagte der Gefangene auf dem Rückweg aus Mexiko? Antwort: ›Sie haben mich.‹«
    »›Sie haben mich‹«, wandte sich der Verteidiger direkt an die Geschworenen. »Klingt eindeutig. Praktisch ein Geständnis.« Er wirbelte zu Petrov herum. »Aber in Ihrer Aussage vom 11. Juni geben Sie die Worte des Angeklagten folgendermaßen wieder: ›Wieso glauben Sie, dass ich es war?‹ Kein Schuldeingeständnis, eher die verletzte Reaktion eines Unschuldigen.« Er schwieg einen Moment. »Nun, angesichts der Tatsache, dass Sie unter Eid stehen, welche Ihrer Antworten sollen die Geschworenen glauben?«
    Petrov spürte den Blick der Schmetterlingsfrau auf seinem Gesicht, er wusste, dass diese Floskel – die verletzte Reaktion eines Unschuldigen – tief in ihrem Inneren an etwas rührte. Die Geschworenen, die mittlerweile hellwach waren, lehnten sich erwartungsvoll nach vorn. »Beide«, sagte Petrov.
    »Beide?« Jene Augenbrauen, so lebendig und beredt, hoben sich ungläubig. »Sind Sie sich darüber im Klaren, was mit Ihrer Zulassung geschieht, wenn Sie sich selbst der Falschaussage bezichtigen?«
    »Durchaus«, sagte Petrov. Endlich erwiderte er den Blick des Anwalts. »Als ich die Aussage machte, wurde ich nur nach den ersten Worten des Angeklagten gefragt – ›Wieso glauben Sie, dass ich es war?‹. Die zweite Bemerkung – ›Sie haben mich‹ – machte er erst, nachdem ich ihm beschrieben hatte, welchen Spuren ich gefolgt war. Außerdem äußerte er sich noch ein drittes Mal, kurz bevor ich ihn auslieferte.«
    Schweigen. Der Verteidiger wusste ebenso wie die Richterin und jeder mit dem leisesten Wissen über Kreuzverhörstrategien, dass man niemals eine Frage stellte, ohne die Antwort zu kennen. Aber eine Verhandlung folgt einem theatralischen Aufbau, und dieser Aufbau verlangte jetzt, dass die Frage gestellt wurde.
    Der Verteidiger leckte sich die Lippen. »Dritte Äußerung?«
    »Der Angeklagte sagte außerdem: ›Ich habe jede Minute davon genossen.‹«
    Bevor der Verteidiger reagieren konnte, schrie Ty Canning, ein junger reicher Mann, dessen Verhalten
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