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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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der Hitze«, schiebe ich nach. Ich lasse zwar auf unseren Bus nichts kommen, elftausend Kilometer hat er sich über Passstraßen, Schotterpisten und durch Schlaglochparcours gequält, er hat gestöhnt, gekeucht und gekocht, aber uns nie im Stich gelassen. Allerdings liegt sein Motorblock in der Fahrgastzelle, was im Winter angenehm wärmt. Im Sommer ist derselbe Effekt weniger willkommen. Draußen sind es mindestens fünfundvierzig Grad, bei uns hier drinnen über fünfzig. Wir können gar nicht so viel trinken, wie wir schwitzen. Ich überlege, wie ich David erweichen kann, aber da schaut er schon zu mir herüber, lacht und setzt den Blinker: »Na gut. Ich muss sowieso mal.«
    Er lässt den Bus in den Schatten zweier Bäume rollen. Ich steige nach hinten in den Wohnbereich und hole den Wasserkanister aus dem Schrank. Dann entriegle ich die Heckklappe, springe auf die Straße und schraube den Kanister auf. Spritze mir das brühwarme Wasser über Gesicht und Hände. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen Jeep, der vorbeirollt und dann bremst. Langsam setzt er zurück.
    Bitte nicht, denke ich. Ich will nicht schon wieder unseren zum Campingbus umgebauten VW- Lieferwagen vorführen, will nicht schon wieder erklären, was die Schweizer Medien über Pakistan berichten. Die meisten Einwohner Belutschistans haben noch nie einen Touristen gesehen, ihre Neugier ist groß und arglos, aber ich fühle mich im Moment nicht in der Stimmung für Publikumsverkehr.
    »Da kommen Leute. Lass uns lieber weiterfahren«, sage ich zu David, der vor mir im Wohnbereich steht.
    »Okay.«
    Aus dem Jeep sind fünf Männer ausgestiegen, sie marschieren auf den Bus zu. Ich klettere zurück ins Wageninnere, doch ehe ich die Klappe schließen kann, ruft der Erste: »Hello, how are you?«
    Der Mann trägt ein weißes Gewand, sein schwarzes Haar umrahmt ein gepflegtes, fast attraktives Gesicht. Dennoch ist mir bei seinem Anblick nicht wohl. »Bitte nicht eintreten«, sage ich – zum ersten Mal auf dieser Reise. Jetzt erkenne ich eine Waffe mit langem Lauf. Wie einen Spazierstock hat der Mann sie auf den Boden gestellt. Auf den Boden unseres Wohnbereichs. David versucht, ihm den Weg zu versperren, fasst ihn an der Schulter und ruft: »No, no!« Doch der Fremde springt herein, gefolgt von den vier anderen. Sie drängen uns zurück und schreien: »Dollar, Dollar!«
    »Wir haben keine Dollars«, sagt David, im Gedränge der sieben Leiber.
    Da treffen ihn zwei Schläge ins Gesicht. David bleibt ruhig. Er ist Polizist, er ist Kampfsportler, er ist auf Extremsituationen trainiert. Und das Wichtigste dabei ist Selbstbeherrschung.
    »Es tut uns leid, wir haben keine Dollars«, sagt er noch einmal.
    »Hinsetzen«, sagt der Mann im weißen Gewand. Ich fange an zu zittern, setze mich aber instinktiv auf die Klappe, unter der wir unser Geld, die Kamera und den Computer verstaut haben. Die Männer sind mit Kalaschnikows und Pistolen bewaffnet und zerren an Davids Hosentaschen herum. Er zieht zehntausend Rupien hervor. Aber die schlagen sie ihm aus der Hand und schreien immer wieder: »Dollar, Dollar!«
    David sagt erneut, wir hätten keine Dollars. Seine Stimme ist nicht mehr so kontrolliert, als man ihm einen Gewehrlauf ins Gesicht drückt.
    Mit einem Griff unter meine Achseln werde ich aus dem Bus gezerrt.
    »Nicht meine Frau«, höre ich David schreien. »Nicht sie!« Hände fassen nach mir, mit einem Ratschen reißt mein Kleid. Ich werde über die staubige Erde geschleift und auf die Rückbank des Jeeps geworfen.
    Ich war mein Leben lang ein Angsthase. Als Kind traute ich mich nicht allein in den Keller, und selbst als Erwachsene fürchte ich mich vor der Dunkelheit, was mir im Polizeidienst reichlich Probleme bereitete. Anfangs wollte ich auch nicht im Bus schlafen, weil die Straßengeräusche aus den finsteren Gassen die wildesten Fantasien bei mir freisetzten. Bis ich ein fast kindliches Zutrauen zu dem Bus entwickelte. Der Bus ist mein Zuhause geworden, mein Nest, mein Kokon. Ich will ihn nicht zurücklassen. Den Bus nicht und erst recht nicht David. Ich bin wie gelähmt. Ich sehe mich aus der Vogelperspektive, eine blonde junge Frau, inmitten dieser fremden Männer. Ich will zurück in unseren Bus, ich will zurück zu David.
    Da merke ich, dass David bei mir ist. Er sitzt bereits im Jeep. Ich höre, wie sie auf ihn einschreien. Ich verstehe die Sprache nicht, sie klingt anders als Arabisch und Urdu, irgendwie weicher. Später werden wir merken, es ist
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