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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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seitlich versetzt, mal vor oder hinter unserer Gruppe. Als Geleitschutz, Spähtrupp, Bewachung. Das Kommando verfügt über militärische Erfahrung. Auch hinter dem Zickzack-Kurs, der scheinbar planlosen Verschiebung, steckt eine Logik. Das Kommando bewegt sich deshalb so wirr, weil es sich in Feindesland befindet, Hauptstrecken und Kontrollpunkte meiden muss, weil niemand uns als Geiseln identifizieren darf. Und damit taucht ein neuer Gedanke auf: Wenn eine Polizei- oder Militärstreife uns aufgreift, sind wir befreit. Ein Hoffnungsschimmer. Aber auch nicht mehr. Denn bei einem solchen Zusammentreffen käme es sicher zu einem Schusswechsel. Unsere Bewacher schleppen nicht umsonst eine Panzerfaust und Handgranaten mit sich herum. Wie groß sind unsere Überlebenschancen, wenn wir in ein Kreuzfeuer geraten, bei dem Granaten fliegen und MG -Salven abgefeuert werden?
    Und fliehen können wir auch nicht. Unsere Entführer beargwöhnen jede unserer Bewegungen, und vor allem David, der sie um einen Kopf überragt, nehmen sie permanent ins Visier.
    Nach nur einer halben Stunde sind wir auf einer Ebene, auf der mehrere Steinhütten stehen. Die Eingänge sind mit dürrem Gestrüpp versperrt. Es wird Tag. Zeit sich zu verstecken. Wir werden in einen Schafstall bugsiert. Sie breiten Matten aus, auf denen wir schlafen sollen.
    Als ich wieder erwache, liege ich neben einer pechschwarzen Steinwand. Sie ist ebenso von Ruß überzogen wie das Strohdach über mir. Durch ein Loch in der Mitte fällt grelles Licht. Ich setze mich auf. Mein Körper ist steif, und sofort wird mir unsere Lage wieder bewusst: Dass wir hier inmitten bewaffneter Banditen sind. Dass unser Leben wahrscheinlich vorbei ist. Einige Meter entfernt liegt Geißenpeter. Er versperrt mit seinem Körper die Türöffnung. Er liegt auf dem Rücken und schläft. Ich beuge mich über David, der ebenfalls noch schläft, dann stehe ich auf und schleiche auf den Fremden zu. Soll ich über ihn hinwegsteigen? Ich will ins Freie, denn die Luft unter der niedrigen Strohdecke ist muffig. Ich stehe gebeugt da, sehe das hellblaue Gewand, die Plastikuhr am Handgelenk des Mannes, die Kalaschnikow neben ihm. Vorsichtig tippe ich auf seine Schulter. Er öffnet seine braunen Augen und blickt mich an. Ich deute auf seine Uhr: 8.45   Uhr. Ich erkläre mit Gesten, dass ich gerne hinausgehen, die Landschaft sehen möchte. Er setzt sich auf und tritt vor die Hütte, deutet an, dass ich meine Haare verdecken soll. Ich folge ihm ins grelle Sonnenlicht. Zur Rechten stehen Hütten, zur Linken öffnet sich die unendliche Weite, flach, leicht abfallend, bis zu einem kleinen Hügel am Horizont. Es ist totenstill. Mein Bauch krampft sich zusammen, mein Herz rast, und mein Kopf scheint zu explodieren. Niemand wird uns hier jemals finden, niemand wird uns helfen können. In drei Tagen sollen wir angeblich in Peshawar sein, Inschallah. Ich drehe mich um und bedeute Geißenpeter, dass ich Durst habe. Er beugt sich in die Hütte, reicht mir eine Plastikflasche und erklärt auf Paschtu, dies sei die Tagesration für uns alle. Zu essen gebe es nichts. Aber ich habe sowieso keinen Hunger. Dann fällt mein Blick nach rechts, auf einen zweiten Stall. Darin liegt meine Tasche, der Inhalt auf dem Boden verstreut. Ein Tages-Anzeiger , das UNO -Kartenspiel. Erst danach bemerke ich Junkie, der zwischen den Ställen auf dem Rücken liegt, alle viere von sich gestreckt, mit Waffen überhäuft. Er schläft in seinem strahlend weißen Gewand, sein Brustkorb hebt und senkt sich. Und ich frage mich, ob ich das wirklich erlebe, ob ich nicht träume oder schon tot bin.
    Als alle erwacht sind, sitzen wir mit den Entführern zusammen, die mir meine Handtasche zurückgeben. Mit einem merkwürdigen Gefühl der Dankbarkeit nehme ich sie in Empfang. Das UNO -Spiel, den Kamm, das Moskitonetz. Die Gegenstände sind mir vertraut und starren mich doch merkwürdig fremd an. Als stammten sie aus einem anderen Leben, in das ich nie wieder zurückkehren darf.
    Was wir von Beruf seien, fragt uns Geißenpeter. Da er besser Englisch kann als Junkie, übersetzt er dessen Fragen. David und ich haben eine Legende abgesprochen, die wir vortragen. Wir führen gemeinsam ein Restaurant, David leitet die Küche, ich mache die Geschäftsführung.
    Sie nicken. Die Antwort scheint ihnen plausibel.
    »Wie viele Kinder?«
    »Zwei«, behaupte ich wieder. Denn es wird ihnen schwerer fallen, Eltern kleiner Kinder umzubringen, hoffe ich. Und die Notlüge
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