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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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der Oberfläche, warm in der Tiefe ist der Sand, der in meine Schuhe und in den Ausschnitt des Hemdes rieselt. David geht parallel zur Straße weiter.
    Wie eine Maschine arbeiten seine Beine sich voran. Dennoch schlägt er immer wieder hin, versucht sich mit den Händen abzufangen, arbeitet sich unter der Last wieder hoch.
    Er läuft genau an der Teerstraße entlang, aber können wir denn sicher sein, dass sie zur Militärbasis führt? Und wenn wir doch die zweite Option wählen müssen? Diesen Landstrich per Fußmarsch zu verlassen und in eine von der pakistanischen Polizei kontrollierte Region zu gelangen? Eine Woche lang zehn Stunden Marsch jede Nacht. Ich bekomme noch weniger Luft.
    Plötzlich fällt ein riesiger Lichtkegel über einen Berghang. Auf einem Hügel ist ein kreisrunder Scheinwerfer angegangen. Wie ein großes zyklopisches Auge starrt er in die Finsternis und beginnt, langsam und systematisch alle Hügelflanken abzusuchen. So viele Lux – das kann nur ein fest installierter Scheinwerfer mit eigenem Stromaggregat sein. Die Militärbasis.
    »Daniela«, ruft David und zeigt mir, was ich längst gesehen habe.
    »Wir sind gerettet«, antworte ich.
    »Wir sind erst gerettet, wenn wir im Helikopter sitzen«, sagt David und geht weiter. Ich verstehe seine Skepsis nicht. Wovor hat er Angst? Dass die Militärbasis von den Taliban eingenommen wird, die uns suchen? Oder dass in der Militärbasis gar kein pakistanisches Militär sitzt? Vielleicht ist das Fort ja schon gefallen. Die Taliban haben schon einmal die Garnison Miranshah eingenommen. Bis auf den Scheinwerfer ist alles dunkel.
    Ein Hund fängt an zu bellen. Er mag etwa hundert Meter entfernt sein. David hat einen großen Knüppel mitgenommen, um uns gegen wilde Tiere verteidigen zu können, aber sicherheitshalber umgehen wir das Gebell in einem weiten Bogen. Der Hund beruhigt sich nicht, sein Bellen schallt heiser und giftig durch die kargen Steintäler, aber niemand scheint etwas darauf zu geben, und der Hund scheint auf unsere Fährte nichts zu geben.
    Wir gehen davon aus, dass die Militäranlage den gesamten Hügel wie ein Querriegel überzieht. Folglich müssen wir nur vorwärtslaufen und werden automatisch an die Sperranlagen kommen. Meine Arme und Beine zittern, ich versuche, David zu folgen, der mich immer wieder anfaucht. Um das Tempo zu erhöhen, drücke ich mit den Händen bei jedem Schritt die Oberschenkel nach unten. Der Scheinwerfer ist ausgegangen, die Landschaft finsterer als zuvor.
    »Gib mal ein Lichtzeichen«, rufe ich David zu.
    »Wozu?«
    »Damit sie uns sehen.«
    »Besser nicht.«
    »Wieso nicht? Jetzt gib ihnen ein Lichtzeichen!«
    »Und wenn sie einfach schießen? Wie sollen sie auf die Idee kommen, dass wir zwei Schweizer Geiseln sind, die den Taliban entlaufen sind?«
    Wir erkennen eine Art Wachturm, der sich als schwarzer Umriss im Nachthimmel abzeichnet und seitlich übergeht in eine Umgrenzungsmauer. Nachdem wir auf etwa hundert Meter herangekommen sind, sagt David: »Ich werde SOS blinken. Welcher Taliban macht schon durch Lichtzeichen auf sich aufmerksam?«
    Er hebt die Taschenlampe und blinkt dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz. Keine Reaktion. Es bleibt finster auf der Kuppe, der Wind pfeift in unseren Ohren, lässt die vertrockneten Tamarisken knistern. Da stehen wir nun. Hundert Meter von unserer Rettung entfernt, auf freiem Feld. Eine leichte Beute für jeden Schützen.
    »Was sollen wir tun?«, frage ich.
    »Wir müssen näher rangehen, damit sie uns verstehen.«
    Immer wieder hatten wir besprochen, dass es zwei besonders heikle Momente gibt: die Flucht aus dem Innenhof und dann die Kontaktaufnahme mit dem Militär.
    Während wir langsam auf den unbeleuchteten Wachturm zugehen, rufen wir: »Help! Help!«, und winken mit den Armen und der Taschenlampe.
    »Worauf warten die, verdammt?«, brummt David. »Auf die ideale Schussdistanz?«
    Der Wind wird immer stärker, die Atmosphäre immer unheimlicher. Kein Leben scheint in der Basis zu sein. Ist sie doch gestürmt worden? Ich will nicht mehr weitergehen.
    »Es hat keinen Sinn«, sage ich.
    »Wir müssen in diesen Stützpunkt rein.«
    David zieht mich an der Hand noch ein Dutzend Schritte weiter, und vor unseren Augen verwandelt sich der schwarze Umriss des Wachturms in unregelmäßige Zacken. Wie der Rücken eines Drachen aus dem Märchen, der faul und unheilvoll in der Finsternis döst.
    »Das ist eine Ruine«, sage ich, »David, die Basis ist zerschossen.«
    Man
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