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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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tastete nach der Autotür und drückte sie auf. Nach einem tiefen Atemzug klappte auch die Orientierung besser, ich steckte den Kopf ins Freie und stellte meine Füße in Socken auf den Rasen. Keuchend stand ich auf, in meinem ganzen Körper knackte es, alles schien sich wie getrockneter Kaugummi nur mühsam auseinander ziehen zu lassen.
    Das Wetter war okay, weiter hinten häuften sich die Wolken wie auf Postkarten, das nächste gelbe Rapsfeld war nicht weit entfernt, aber ich fragte mich, wo Lene war. Als ich um das Auto herum ging, piekte es durch den Stoff hindurch in meine Fußsohlen. Die Sache mit dem Gleichgewicht war noch nicht so leicht, ich wankte ein wenig. Und auch das Abstützen auf der Motorhaube war keine gute Idee, denn die war heiß geworden unter der Sonne. Im Gebüsch neben dem Auto raschelte es, aber ich konnte nichts erkennen. Hinter den Büschen lag ein Waldstück. Wir hatten neben einer Landstraße geparkt, die leer in der Gegend lag. Seit meinem Aufwachen war noch kein Auto an uns vorbeigefahren. Ein paar hundert Meter entfernt stand ein gekachelter Verschlag, eine Bushaltestelle vielleicht, zwei Beine guckten daraus hervor. Eine Stange, an der mal der Fahrplan gehangen haben mochte, steckte schräg davor im Boden.
    Lene hatte mich kommen hören und schaute kurz auf, als ich mich an die kühlen Kacheln lehnte. »Bist du schon lange wach?«, fragte ich sie und wunderte mich über meine Stimme, die so klang, als hätte ich ewig nicht gesprochen, als sei sie in dieser Zeit verrutscht, irgendwie tiefer als sonst undverraucht. Lene zuckte nur mit den Schultern, und ich setzte mich neben sie auf die Plastikschalensitze. Die waren noch kühl, das konnte ich durch die Hose hindurch spüren. Ich zog die Socken aus, die Baumwolle juckte an den Zehen. Lene war auch barfuß. In den Händen hielt sie ihr Mobiltelefon. »Hat jemand angerufen?«, fragte ich, legte meinen Kopf auf ihrer Schulter ab und spürte, wie unruhig sie atmete. Sie legte das Telefon auf mein Knie, das Display leuchtete auf. Drei Nachrichten waren auf der Mailbox, 24 unbeantwortete Anrufe. »Hast du sie schon abgehört?« Lene nickte. Ich war etwas ratlos, ich kam mir blöd vor mit meiner Fragerei, vielleicht hatte Lene ihre Stimme heute morgen auch ausprobiert und sich erschreckt, man konnte es ihr nicht verdenken. »Hör’s dir an«, flüsterte sie. Sprechen konnte sie also noch, und ich drückte den grünen Knopf, während vor uns ein kleiner Lieferwagen die Straße entlang juckelte. Ich war aufgeregt, ich wollte das eigentlich nicht hören, aber einfach sagen »Du, lass mal« ging auch nicht. Also hielt ich das Telefon an mein Ohr. Ich hörte erst eine dieser elektronischen Frauenstimmen, langsam und abgehackt nannte sie mir Lenes Nummer, dann folgte ein Piepton, danach rauschte es. Lenes Mutter rief: »Mein Liebes. Wo bist du? Ich habe mit Vince telefoniert – ich war sogar schon bei euch zuhause, aber er wusste auch nicht, wo du bist. Ich hoffe, es geht dir gut, meine Liebe. Komm bitte nach Hause, wir machen uns große Sorgen – der Papa will dir auch noch etwas sagen.« Es knackte, sie gab das Telefon wohl in eine andere Hand und die Stimme jetzt war auch viel rauer und nicht so aufgeregt, klang aber genauso besorgt: »Wir sind jetztzuhause, hörst du? Bitte melde dich bei uns. Wir kriegen das hin. Ja?« Wieder der Piepton, die Roboterfrauenstimme kündigte die nächste Nachricht an, dann die Stimme von Vince. »Lene. Komm nach Hause. Deine Mutter war auch schon da. Und Tonia erreiche ich auch nicht. Ruf an, ich bin da für dich.« Vince hatte also versucht, mich zu erreichen, mein Handy war aus. Piepton. Die Stimme, die folgte, kannte ich nicht. Ein Mann sagte leise: »Lene, ich bin’s … Ernst. Wir sind jetzt wieder zuhause, falls du vorbeikommen möchtest. Es wäre schön – wir … Du kannst immer hier sein.« Dieses Mal folgten zwei Pieptöne. Und als danach Tims Stimme ertönte, stockte mir der Atem. »Liebste«, kam aus dem Hörer. Ich sah Lene an.
    Tim war gestern gestorben.
    Ein Tropfen fiel auf mein Schlüsselbein. Ich ließ das Telefon sinken, schaltete es aus, schaute nach vorne auf den flimmernden Asphalt. Lene zog die Nase hoch. »Ich habe das heute schon zehnmal gehört oder so. Er hat abends noch mal angerufen, wir hatten uns ja zum Frühstück verabredet und ich dachte dann, das löscht sich von allein. Und dass er dann am nächsten Morgen vor meiner Tür steht. Ich dachte ja, dass er dann einfach da ist
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