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Psychotherapeuten im Visier

Psychotherapeuten im Visier

Titel: Psychotherapeuten im Visier
Autoren: Holger Reiners
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Vorwort: Zur Erklärung
    Jemanden ins Visier zu nehmen, heißt nicht, auch gleich auf ihn schießen zu wollen. Ich will auf niemanden schießen, nur zielen. Was ich ins Visier nehme, sind nicht die vielen fachlich und menschlich engagierten Therapeuten mit guter Ausbildung, Kenntnissen und Empathie. Es sind die noch immer existierenden Missstände, denen zahlreiche kranke Menschen, die unter Depressionen leiden – nur hier maße ich mir ein Urteil an –, jeden Tag in der Konfrontation mit Psychotherapeuten ausgesetzt sind. Es geht mir nicht darum, auf spezielle Personen zu zielen, um ihnen zu schaden, aber mir liegt sehr daran, Dinge anzusprechen und aufzudecken, die im Rahmen einer therapeutischen Behandlung wenig hilfreich sind: sachlich, emotional und personell. Ich ziele auch auf all die Voreingenommenen und Unbelehrbaren, die meinen, Psychotherapie sei nur etwas für Verwöhnte, die allein ihr Leben nicht in den Griff bekommen oder ihre Ich-Stärke
optimieren wollen. Und ich nehme auch die ins Visier, die psychotherapeutische Verfahren, wie die Analyse oder die Gestalttherapie, als Wellnessprogramm für die eigene Seele verstehen. Dagegen wäre prinzipiell nichts auszusetzen, wenn derjenige für eine solche Gemütsmassage auch selbst bezahlt. Das ist aber häufig nicht der Fall und bei der chronischen Unterversorgung von Patienten, die wirklich ärztlichpsychiatrische Hilfe benötigen, eine Form von Egoismus, auf die der Blick auch einmal gezielt gerichtet gehört. Es geht nicht um Selbstfindungsprogramme für verwöhnte Sinnsuchende, sondern um therapeutisch hilfreiche Methoden, die gezielt und mit zeitlichem Limit eingesetzt werden, um möglichst schnell einen Weg aus der Depression herauszufinden.
    Ob arm oder reich, in der spezifischen Situation einer behandlungsbedürftigen Krankheit sind alle gleich – das hoffen wir jedenfalls. Die von den gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in Kraft gesetzte Realität sieht anders aus. Wer privat versichert oder Selbstzahler ist, wird bei einem identischen Krankheitsbild – also beispielsweise bei einer Depression – sehr viel schneller ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen können als der Kassenpatient. Es geht nicht um die Situation im Wartezimmer einer Praxis – Kunststoff oder Leder –, wo die Privatpatienten schneller und terminlich meist verlässlicher behandelt werden, es muss in der Depression zuerst einmal um eine zeitnahe, zügige Behandlung für alle gehen – jedes Zuwarten kann lebensgefährlich sein. Hier sind gesetzlich Versicherte Kranke zweiter Klasse, die, ganz auf sich allein gestellt, unerträglich lange Wartezeiten bis zum ersten therapeutischen Gespräch hinnehmen müssen. Von diesen, mit dem Auftreten der vollkommen unerwarteten depressiven Symptome verstörten Menschen kann
niemand erwarten, dass sie sich stattdessen als Erstes und sofort und ganz rational in einer psychiatrischen Notfallambulanz melden oder versuchen, sich als Selbstzahler um therapeutische Unterstützung zu bemühen. Depression bedeutet ja gerade nachlassende Kräfte, nachlassende Rationalität und ein tägliches Mehr an versiegender Hoffnung. Der russische Philosoph Lew I. Schestow (1866 – 1938) sagt: »Der einzige wahre Ausweg liegt genau dort, wo es nach menschlichem Ermessen keinen Ausweg gibt.« Ich könnte diesen Satz auch so interpretieren: Der einzige Ausweg aus der Suizidalität für den verzweifelt depressiven Menschen liegt in der – zugegeben irrationalen – Hingabe an die schützenden Hände eines Therapeuten.
    An der völlig unzureichenden Versorgungslage depressiver Patienten sind die Psychiater und Psychologen nicht unschuldig. Aufgrund ihrer dürftigen Forschungsergebnisse und der Weigerung, einzelne Therapieverfahren von unabhängiger Seite auch einmal in großen Versuchsreihen evaluieren zu lassen, hat die Psychiatrie und im Gefolge die Psychologie im Gesamtspektrum der Medizin – ich spreche bewusst nicht von Wissenschaft – keine besondere Bedeutung. Es ist bezeichnend, dass bisher nur ein einziger Nobelpreis für Medizin an einen Psychiater verliehen wurde, 1927 an Julius Wagner-Jauregg. Allerdings für einen Bereich in der Medizin – die Behandlung von Menschen, die unter progressiver Paralyse als Folge der Syphilis litten – dem Entzündungsgeschehen einer Infektionskrankheit. Es war also kein typisches psychiatrisches Krankheitsbild, für das er den Nobelpreis erhielt. Das muss stutzig machen. Es gibt für den so wichtigen Bereich der
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