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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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wolltest nicht, dass ich dich zum Flughafen bringe. Schlaf aus, hast du gesagt und dich umgedreht und die Weinflasche aus dem Tiefkühlfach geholt,sie prüfend befühlt und dann noch einmal zurückgelegt. Ich habe nicht gewagt zu widersprechen. Ich weiß noch nicht, wann ich protestieren darf und wie laut.
    (Jetzt steigst du aus der Bahn, gehst die Stufen hinauf und schaust dabei auf deine Schuhe, um nicht zu stolpern.) Ich bin wach, ich habe nicht geschlafen, aber ich habe es versucht. Ich habe mir zweimal die Hände gewaschen, weil sie noch klebten vom Kleister. Kein einziges Auge habe ich wieder mit nach Hause genommen. Nun sehe ich die gesamte Nachbarschaft, alle Menschen vorbeigehen, jedes Zittern, ich bin noch wach. Wie viele Male du mich gesehen hast, weiß ich nicht. Auf dem direkten Weg zur Bahn klebt mein Blick viermal. Wenn du noch eine Zeitung am Kiosk gekauft hast, sind dir zwei weitere begegnet – und wenn du dich, was ich nicht glaube, für den kleinen Umweg durch den Park entschieden hast, noch einmal drei. Am liebsten hätte ich sie alle wieder abgerissen, als ich fertig war. Aber mir war kalt und die Kette vom Fahrrad sprang ab. Ich werde es lieben, dich zu vermissen, hast du gesagt nach dem zweiten Glas Wein und gelächelt, als wärst du dir der Tonlage sicher dieses Mal. Ich bin wach, weißt du? Vom Kopfkissen aus sehe ich dir zu, wie du vor dem Flughafengebäude deine Schnürsenkel festziehst, einen Knoten machst, eine Schleife bindest und dann in den Himmel schaust, bevor du durch die Glastür gehst.

    Es war gut, dass in der Straße, wo Lene und Vince wohnten, viele Autos parkten, dass dort der Bus fuhr und dieStraßenbahn, die gleiche Linie wie vor meinem Haus. Jeden Morgen sammelten sich Trauben von Menschen an den zwei Stationen, warteten und konnten sich ansehen wie ein Spiegelbild, während dazwischen der Verkehr in einem lauten Fluss vor sich hin blubberte. Dass soviel los war, dass man kaum auffiel. Und ich konnte in meinen morgendlichen Weg eine Schlaufe einbauen, durch das Gewimmel. Während ich mich an den raschelnden Jacken vorbei drängelte, genügte ein kurzer Blick nach oben zum Fenster. Dann begann mein Morgen mit der Entzifferung kleiner Zeichen. Und der Kaffee an der Ecke war mein Alibi. Waren die Vorhänge auf oder zu? Die Fenster offen oder geschlossen? Licht an oder aus? Im Winter konnte ich erkennen, ob Vince schon aufgestanden war, am schwachen Licht neben seinem Bett, im Sommer achtete ich auf die geöffnete Balkontüre. Und wenn es von oben tropfte, war er meistens schon längst nicht mehr zuhause, hatte die Blumen kurz vor dem Verlassen der Wohnung noch gegossen in Eile. Bis das Wasser überschwappte auf den Gehweg hinter die Wartenden mit den Kapuzen und Regenschirmen, den Kopfhörern und Tragetaschen, die ihren Tag noch vor sich hatten. Abends kam ich nie.
    Und von weitem sah ich nichts, ich musste immer erst ein bisschen bergauf, vorbei an dem Büro mit den bunten Comics an der Wand, vorbei an dem Haus, wo im dritten Stock immer der Fernseher blau leuchtete, vorbei an dem Kiosk mit der dickbäuchigen Verkäuferin mit der silbernen Kugel in der Nase. Vorbei an der Lücke zwischen den Fassaden, bis ich am Haus angekommen war. Es beruhigte zu wissen, wie es hinter den Scheiben aussah. Wo das benutzte Geschirr inder Küche stand, wo wahrscheinlich Socken lagen, wo der Aschenbecher und wo das Telefon, wo der Hammer hing und die Decke noch warm war von der Nacht. Und dass die Heizung nicht funktionierte, noch drei Textmarker in ihrer Schachtel lagen, sich Papier stapelte, Krümel auf dem Bett vor sich hin rollten von Lakenfalte zu Lakenfalte. Es war gut für den Tag, dort entlang zu gehen. Manchmal schaute ich nicht hoch und hoffte, dass man mich vielleicht entdeckte, dass ich vielleicht mal die war, die man sah im Vorübergehen und sich dann freute. Ich denke, das passierte nie, jedenfalls hatte Vince nie etwas gesagt. Wenn ich nicht aufgeschaut hatte, drehte ich mich an der Ecke mit dem Kaffee in der Hand noch einmal um als Entschuldigung, auch wenn ich schon längst nichts mehr erkennen konnte. Wenn ich bei Friedrich übernachtet hatte, funktionierte der kleine Umweg nicht. Das seltsame Gefühl in der Bahn dann, ich schob es immer auf den Kaffee, den ich an diesen Tagen an der Tankstelle kaufen musste. Schon das Geräusch des quietschenden Automaten tat weh. Und in der Tankstellenstraße standen keine Bäume.

    Die allgemeine Richtung war klar, der Blick nach hinten
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