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Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
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kurbelte sie mit der anderen Hand das Beifahrerfenster herunter. Und sie ließ das Stück auch nicht los, als sie sich die herumwirbelnden Haarsträhnen aus dem Gesicht schob und sich am Schienbein kratzte, ich hätte ihr beinahe auf die Hand geschlagen, ich wusste gar nicht, was das jetzt sollte, dieser Leberfleck, aber ich sagte nichts, sondern schaute weiter auf die Straße. Wind kam durch das Fenster herein, wischte kurz über die Bezüge, blieb ein bisschen, und ich fand ihn ganz gut. Die Haut in Lenes Hand wurde immer weißer, ich warf ab und an einen Blick darauf, während sie unablässig aus dem Fenster starrte. Niemand sagte etwas, ich traute mich nicht einmal zu fragen, was wir eigentlich vorhatten, also fuhr ich. Geradeaus und einfach weiter, nicht zu schnell, aber so, dass wir vorankamen. Ich hatte Angst. Es war das erste Mal seit langem.
    Weil wir nicht redeten, schaute ich herum und horchte, ich suchte irgendetwas, aus dem man ein Gespräch machen konnte, einen Anhaltspunkt, und war froh um jedes Geräusch. Beim Fahren wackelte ich in den Schuhen mit den Zehen, ich hatte das Gefühl, sie würden mir sonst jeden Moment einschlafen und eventuell abfallen. Und Lene behielt einen roten Abdruck zurück, wo die ganze Zeit ihre Finger gewesen waren, man konnte auf der Haut jedeneinzelnen erkennen als weißen Rand, wenn sie alle drei Minuten den Baumwollstoff hob, um zu gucken, ob die Umrandung des Fleckes sich verändert hatte. »Guck«, sagte sie, »er wächst.« – »Das ist Quatsch«, sagte ich und legte beide Hände vor mir auf das Lenkrad. Lene kurbelte das Fenster wieder hoch, zog sich das Kleid zurecht, schaltete das Radio ein und sofort wieder ab, zog die Beine an ihren Körper und hielt sich am Sitz fest, schaute in den Rückspiegel, aus dem Fenster, spielte am Armaturenbrett herum und an den Nähten des Sitzbezuges. Ich beobachtete sie nur aus dem Augenwinkel und wusste dennoch, was sie tat. Ich wusste, als ihre Schuhsohle auf dem Kunstleder der Sitzbezüge quietschte, wie sie saß und dass sie den anderen Fuß noch nachsetzen würde.
    »Nimm mal die nächste Abfahrt«, sagte sie, und ich wechselte die Spur, vielleicht hatte sie ja doch ein konkretes Ziel. Am Stadtrand hatten wir die Sitze getauscht, Lene hatte geflucht, auf alle geschimpft, die neben uns auf der Straße waren, ganz leise und zischend, und ich dachte, das könnte der Beginn dieser Wut sein, die ich eigentlich erwartet hatte, irgendeine Art von Regung, ein Ventil vielleicht. Doch dann schwieg sie wieder, sie schaukelte sich nicht hoch, sondern zog sich in ihren Körper zurück, der dennoch nach irgendetwas suchte und nicht zur Ruhe kam. Ich schaute mich um, das Auto gab uns einen Platz. Wir kamen voran, und mit uns waren Autofarben und Nummernschilder, Fahrbahnrandmarkierungen und Waldränder, Straßenschilder, Hinweise, Klickgeräusche. Wir hatten keine Wahl.
    Am Rand der Landstraße hielten wir an, um zu rauchen.Lenes Hände zitterten beim Aufreißen der Folie der Zigarettenschachtel. Ich gab ihr Feuer, sie schloss die Augen dabei und nahm einen tiefen Zug. Nebeneinander lehnten wir am Auto, es muss schön ausgesehen haben für die, die in den Autos saßen und an uns vorbeifuhren. Zwei Beine in einem Rock und zwei Beine in einer engen Hose, wehende Haare und Zigaretten zwischen den Fingern. Wie Cowboys standen wir, und vielleicht dachten sie, wir fänden das gut, wir würden das genießen.
    Ein Lastwagenfahrer hupte, aus einem Kombiheckfenster winkte ein Kind. Manchmal erkannte ich ein Automodell, die Marke immer. Aus den Buchstaben der Nummernschilder formte ich schon seit Beginn der Fahrt Worte. Die Worte mussten die Buchstaben enthalten, die auf dem Schild zu erkennen waren, das war Pflicht, aber es war erlaubt, andere Buchstaben hinzuzufügen, sodass das Wort einen Sinn ergab. Und wenn es gut ging, wenn mir schnell eine passende Lösung einfiel, dann gelang es manchmal auch noch, die Nummern in Beziehung zu dem Wort zu setzen, das passierte jedoch eher selten. Lene rauchte die Zigarette bis zum Filterrand. Sie hielt sie mit drei Fingern und schielte ein bisschen dabei. Die Reste ließ sie auf den Rand der Straße fallen, nicht auf den Rasen daneben, »das gibt sonst noch Feuer und am Ende sind wir schuld, wenn Mecklenburg-Vorpommern brennt«. Sie wollte nicht schuld sein.
    »Niemand kann was dafür«, sagte ich. Es hatte eine Stunde gedauert, diesen Satz über die Lippen zu bekommen. Aber dieses Schweigen machte mich mürbe,
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