Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Und im Zweifel fuer dich selbst

Und im Zweifel fuer dich selbst

Titel: Und im Zweifel fuer dich selbst
Autoren: Elisabeth Rank
Vom Netzwerk:
das Gefühl, nichts, aber auch gar nichts tun zu können. Während Lenesonst die Dinge von oben bis unten angeschaut hatte, einem beim Reden direkt in die Augen geguckt hatte und beim Treppensteigen auf ihre Füße, so glitt ihr Blick jetzt an allem ab, wanderte hektisch in der Gegend herum, sie blieb einfach nicht still. »Und es fühlt sich trotzdem so an«, meinte sie beim erneuten Einsteigen. Die Stille war zurück, eine Stille, die uns einschloss, es aber nicht in unser Inneres schaffte, obwohl wir nach Luft schnappten und manchmal den Zeigefinger in die Luft streckten, um zu prüfen, aus welcher Richtung wohl der Wind wehte. Nichts rührte sich außer den Scheibenwischern, die ich einmal aus Versehen anschaltete, nur ganz kurz. Wir hatten keine Zusammenhänge mehr, ich hätte so gern an einer Bibliothek gehalten und ein Buch rausgesucht, ich hätte gern jemanden angerufen und gefragt, was zu tun sei, aber jedes Mal, wenn ich das Telefon in die Hand nahm, schaute Lene so seltsam, dass ich es sofort wieder weglegte. Es gab nur uns, es sollte niemanden sonst geben. Und ich war mir nicht sicher, ob das so eine gute Sache war.
    Irgendwann differenzierte sich das Rauschen, ich hörte die einzelnen Komponenten deutlich heraus. Unseren Atem, den Schweiß in unserer Haut, die Maschen der Stoffe, ich spürte jede Haarwurzel auf meinem Kopf, jedes Haar auf meinem Arm, ich war lange nicht so sehr irgendwo gewesen wie dort im Auto. In Filmen zeigen sie die Figuren manchmal von schräg oben, der Protagonist spricht dann immer ruhig und besonnen aus dem Off, während auf dem Bildschirm alles weitergeht. Wenn ich mich im Seitenspiegel sah, aus Versehen beim Überholen, dann sah ich nicht mich,ich sah ein paar Augen, einen Mund, eine Frisur (ich war vor der Prüfung noch mal zum Frisör gegangen). Ich schaute nicht hin, Lene dagegen hatte sich den Sonnenschutz heruntergeklappt und musterte sich, oft. Sie sah aus, als müsse sie sich irgendeiner Sache vergewissern, während ich mich verdoppelt fühlte – eine, die fährt, die Dinge tut und ausführt, die schaltet und bremst. Eine andere, die nicht denkt, aber fühlt, die alles hört, aber nichts versteht. Vielleicht hatten wir etwas vergessen, vielleicht mussten wir da jetzt einfach durch. Lene biss sich auf die Lippen und betrachtete den Abdruck im Spiegel. »Bis es blutet«, sagte ich. »Bis einer heult«, entgegnete sie.
3
    Jetzt verlässt du das Haus. Vor dem Zuziehen der Tür schaust du noch einmal in den Flur, zählst in Gedanken die Fenster und Heizungen und Herdplatten, die du alle vorher noch einmal abgegangen bist. Und dann streichst du unten angekommen die Ecke des Aufklebers am Briefkasten noch einmal glatt, den Schlüssel verstaust du in deiner Hosentasche. Das erste, schwache Morgenlicht fällt von draußen durch die Glasscheibe der Haustür auf die Bodenfliesen und den roten Teppich darauf. Als du dann die Tür öffnest, schlägt dir Winterluft ins Gesicht, du ziehst die Schultern hoch und legst die Stirn in Falten. Ich werde dirAuf Wiedersehen sagen, wenn du jetzt aufmerksam bist. Gestern habe ich mein Auge ausgeschnitten und an den Baum gehängt. In der Nacht – bei dir brannte noch Licht – bin ich mit dem Fahrrad zu dir gefahren, einen Eimer Kleister am Lenker, ein paar Rollen Papier unter den Gepäckträger geklemmt. Adieu an jeder Ecke. Ich meine es so.
    (Jetzt steigst du in die S-Bahn in Richtung Flughafen.) Und wieder. Und wieder. Ein gebeugt gehender Mann mit einem Rauhaardackel an der Leine kam mir entgegen, deine Straße war schwarz und weiß, nur unter den Laternen ein bisschen gelb. Irgendwo ein Klickern, ein Klappern, ein seltsames Atmen vielleicht, ein Kabel an einem Balkon zwei Häuser weiter. Im Wind schlug es immer wieder gegen die Dachrinne, wie das Pendel einer Standuhr, hin und her, nicht ganz so entschlossen. Der Kleister kleckerte auf meine Schuhe, ein paar Schritte lang hinterließ ich Spuren auf Teer und Asphalt. Mein Auge klebte ich auf die Litfasssäule, an den Baum vor deinem Haus, an den Stromkasten bei der Kreuzung, die Laternenmaste, einen Kaugummiautomaten und die Bushaltestelle. Ich wischte mir die zähe Flüssigkeit an der Hose ab und schreckte bei jedem Geräusch auf, bei Schritten und Motoren. Du bist überall und nun bist du weg. Nur für einen Monat, hast du gesagt und dabei auf den Boden geschaut und mich dann angelächelt, als hättest du eine falsche Tonlage benutzt, als bestünde die Möglichkeit, dass du dich irrst. Du
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher